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Kolumne Gerd Ernst

Deckblatt2Als ich voller Elan 1975 mit der Arbeitsforschung begann, warnte mich mein Institutsleiter, dies sei ein Aufschwung der Forschung bedingt durch die Verknappung der Arbeitskräfte und der Probleme, die die Fliessarbeit zu dieser Zeit zeigte. Ich glaubte natürlich trotzdem noch an einen dauerhaften Aufschwung der Arbeitsforschung. Denn „Humanisierung ist kein Schönwetterziel, das eine Gesellschaft sich zu Zeiten der Vollbeschäftigung setzt, um die abhängig Beschäftigten bei Laune zu halten. Moderne Gesellschaften benötigen eine menschengerecht gestaltete Arbeitswelt. 1000e von Toten in Bergwerken, vergiftete Arbeiter und Arbeiterinnen sind auf mittlere Sicht gesehen für jedes Wirtschaftssystem zerstörend. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ihre kreativen Potenziale nicht einsetzen können oder wollen, werden moderne, auf Innovationen ausgerichtete Volkswirtschaften nicht zum Erfolg führen können. Wenn es nicht gelingt, eine Balance zwischen Kapital und Arbeit zu verhandeln, werden demokratisch organisierte Volkswirtschaften auf längere Sicht Probleme bekommen" (das habe ich 2009 geschrieben).

Bestärkt wurde ich damals auch durch die Reformulierung des Programms „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens" durch die Minister Riesenhuber und Blüm 1987: „Wer immer nur an Technik denkt, wenn von Innovationen die Rede ist, braucht sich über Misserfolge nicht zu wundern" (BMFT, BMAS, 1987, S. 29). Mit über 103 Mio DM standen in einer CDU/CSU/FDP-Regierung Mittel wie zu Hochzeiten des Programms zur Verfügung. Die Aktivitäten des Abgeordneten Austermann betrachtete ich als individuelle Strategien. Ich wurde eines Besseren belehrt; denn Arbeit verlor in den 90er Jahren ihren Stellenwert. Auch wenn Papst Johannes Paul II in seiner Enzyklika "Laborem Exercens" (1981) verkündet hatte: "So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit.". Alles änderte sich. Menschliche Arbeit war ein Kostenfaktor geworden. Der „Mensch stand im Mittelpunkt", das bedeutete, er war überall im Weg und musste durch Technik ersetzt werden.

Unter dem Eindruck des expandierenden Internets trat eine neue Generation von WissenschaftlerInnen an, deren Handeln den „alten HdA-WissenschaftlerInnen" ein Graus waren. Neue Technologie ersetzte alles und machte alles automatisch besser. Wer nicht an „das Netz" glaubte, war unglaubwürdig. „Das Netz" macht alte Beteiligungsstrukturen überflüssig, „das Netz" ermöglicht, meine Kinder zu betreuen und gleichzeitig zu arbeiten (was mir als Vater von drei Kindern damals wie heute unmöglich war). Die Versuche, Arbeit und Innovationsfähigkeit zu verbinden, scheiterten 2010, als der zuständige Abteilungsleiter des BMBF - Herr Lukas - verkündete, Produktions-Arbeits- und Dienstleistungsforschung zusammenzufassen. Doch wiederum hatte die Welt sich verwandelt. „Hauptsache Arbeit" (egal welche) verschwand.

Tagung FES RKWEs wurde auch für die Wirtschaft erschreckend klar, dass angesichts des demographischen Wandels der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern sich dorthin stellt, wo er es will. Die jahrzehntelang zur Verfügung stehende „industrielle Reservearmee der Frauen" war auch nicht mehr da. Der Kita-Streik zeigte sehr deutlich, dass das Selbstbewusstsein der Frauen im Arbeitsleben ein anderes geworden war: „Wir lassen uns nicht mehr herumschieben". Die IT-Wirtschaft, die jahrelang glaubte, ihre Arbeitskräfte seien den Regeln von Belastung und Beanspruchung nicht ausgesetzt, hat Nachwuchsmangel und die älteren Beschäftigten halten das Tempo nicht durch.

Die Arbeitgeberseite fordert heute, alles zu tun, damit Arbeit wieder Freude macht. Die lange totgesagten Gewerkschaften wenden sich, nachdem Mindestlohn und Rente durchgesetzt sind, mit aller Kraft der Gestaltung „Guter Arbeit" zu und fordern mehr Forschung, um Gestaltungskonzepte für die „Gute Arbeit" zu haben. SPD-Politkerinnen entdecken „das Neue Normalarbeitsverhältnis", die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer­fragen fordert „Humanisierung braucht Forschung" und dem RKW gelingt es, mit den „Eschborner Thesen" die Wissenschaftswelt in bisher nicht bekannter Form zu einen. Arbeitsforschung ist wieder da. Tun wir alles, um sie am Leben zu halten.

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