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Kolumne Gerd Ernst

Wenn ich die momentane Debatte um den Arbeitsschutz sehe (z.B. „Absurdistan? Aber sicher!“ von Helene Endres in SPIEGEL-online las (http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/arbeitsschutz-quiz-ihre-rechte-am-arbeitsplatz-a-1015722.html), weiss ich nicht, ob ich einem Phänomen journalistischer Demenz begegnete oder ob die Arbeitswelt wirklich so schön geworden ist.

Zunächst einmal der Arbeitgeber und der Betrieb. Die Anforderung festzuhalten, wie lange ein Beschäftigter in dem Betrieb eines Arbeitgebers gearbeitet hat, scheint wohl gegen die Menschenrechte zu verstossen. Arbeitgeber scheinen, so scheint es mir, nicht zu wissen, wie lange ihre Beschäftigten arbeiten. In manchen Fällen, so lassen mich die Klagen von manchen Vereinen angesichts des Mindestlohnes vermuten, scheinen sie noch nicht einmal zu wissen, dass sie Arbeitgeber sind. Arbeitgeber haben – so muss ich einen Teil des Quiz von Frau Endres verstehen - auch keine Verantwortung für ihren Betrieb. Lass‘ die Beschäftigten doch ihre „own devices“ mitbringen. Wenn der „Betrieb“ wegen eines fehlerhaften Kaffeekochers abgefackelt wird, wenn die vertraulichen betrieblichen Daten irgendwo in der Öffentlichkeit auftauchen, alles das braucht, so verstehe ich Frau Endres, den Arbeitgeber nicht zu kümmern. Alles überflüssige Bürokratie! Arbeitgeber brauchen auch keine Produktivitätsüberlegungen anzustellen. Anstatt den bürokratischen Unsinn zu machen, ihren Beschäftigten bei Rückenbeschwerden Unterstützung zu leisten, warten sie lieber ab und zahlen nachher die Krankheits- und Ausfallkosten. Das steigert sicher das Bruttosozialprodukt und fördert die Gesundheitswirtschaft!

Ich gebe ja zu, dass ich seit längerer Zeit im Ruhestand bin und vielleicht auch meiner Arbeit nicht gewachsen war. Es ist schon toll zu erleben, wie leicht die Arbeit – zumindest erweckt Frau Endres den Eindruck – heute ist. Ich liege auf meiner Couch, meinen Laptop auf dem Bauch, gebe ein paar Kommandos und schon ist die Arbeit getan. Wozu dann den Blödsinn eines ergonomisch gestalteten Arbeitsplatzes? Wozu muss ich denn erkennen, was auf diesem Bildschirm steht? Wozu brauche ich eigentlich eine ergonomisch gestaltete Tastatur, wenn ich doch nichts eingebe? Die heutige Arbeitswelt muss herrlich sein! Die Menschen, die in den Büros von heute arbeiten, ihre Arbeit als belastend erleben; die abends ziemlich geschlaucht nach Hause gehen; die, die sich nach ein paar Stunden am CallCenter- oder Verkaufsarbeitsplatz nach einem angenehmen Ruheraum (und nicht nach einem Bunker) sehnen, die haben die neue, schöne Arbeitswelt eben nicht begriffen. Sie leben halt in Absurdistan.

Ach übrigens, wenn das alles nicht an Demenz oder an der schönen, neuen Arbeitswelt liegt, vielleicht ist es nur ein Anzeichen einer Bewegung gegen die Gestaltung Guter Arbeit.

G. Ernst
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