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Kolumne Gerd Ernst

„Umsetzung“ wird gewöhnlich allein als „Umsetzung von Projektergebnissen“ in Richtung bisher Unbeteiligter verstanden. Schon mehrfach habe ich an dieser Verkürzung auf eine „Einbahnstrasse“ der Umsetzung Kritik geübt. Michaela Klemisch vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart hat zusammen mit Ver.di und der Hans-Böckler-Stiftung eine andere Herangehensweise vorgestellt:

Michaela Klemisch: Dienstleistungsinnovationen – Betriebliche Zukunft mitgestalten, edition Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, 2015

Zunächst einmal geht es ihr um das Innovationsgeschehen, also nicht die daran anschliessende Gestaltung von Arbeit oder Fragen der Beschäftigungssicherung. Weiterhin will sie ein Qualifizierungskonzept für Betriebsräte entwickeln, um Dienstleistungsinno-vationen mitzugestalten, also kurz die Innovationsfähigkeit der Betriebsräte stärken. Damit unterscheidet sie sich von dem klassischen Vorgehen, wo es darum geht, vorhandene Lösungen mit Unterstützung der Betriebsräte in die Organisationen umzusetzen. Das klassische Vorgehen wurde seit Beginn des Programms „Humanisierung des Arbeits-lebens“ (z.B.: Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft e.V.: Seminarprogramm Arbeitswissenschaft, Campus, Frankfurt am Main, 1983) bis zur heutigen Dienst-leistungsforschung (z.B. Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg (Hg.): Service Engineering – in fünf Schritten zur neuen Dienstleistung, Stuttgart, 2014) genutzt. Hier beschreitet Klemisch also einen neuen Weg. Basierend auf den Erfahrungen der Dienstleistungsforschung, Interviews mit Experten und der Betriebsräte wird ein szenariengestütztes Workshopkonzept entwickelt. Dabei geht es nicht um vorliegende exemplarische Lösungen, sondern um zukünftige Geschäftsmodelle, die mit dem heute vorhandenen Wissen entwickelt und beurteilt werden sollen. Klemisch stellt das Konzept bis in die Einzelheiten der Workshopkonzeption vor, so dass die Broschüre als Grundlage für neue Workshops genutzt werden kann.

Die Erfahrungen mit den Pilotworkshops machen die Problematik der Innovationsfähigkeit von Betriebsräten noch einmal besonders deutlich: Betriebsräte sind branchen- und unternehmensorientiert. Innovationen dagegen überschreiten Branchengrenzen und lösen Unternehmensstrukturen auf. Das Innovationsgeschehen ist gewöhnlich nicht linear und kann zunächst nicht so beschrieben werden, dass der Nutzen für andere Branchen erkennbar ist. Und in den innovierenden jüngeren Betrieben ist die Anzahl der Betriebsräte (als Informationsgeber für andere) einfach nicht hoch genug. Alles das sind Schwierigkeiten, die Anstrengungen der Gewerkschaften erfordern. Es sind aber auch Herausforderungen, die weitere Forschung zur Innovationsfähigkeit von Entscheidungsträgern in Betrieben rechtfertigen.

Klemischs Konzept stellt die Betriebsräte in dem Kommunikationsraum „Arbeit“ auf. Sie sind jetzt nicht mehr „Abnehmer“ von Forschungsergebnissen, sondern Co-Produzententen von Wissen um Innovationen. Sie sind ein Systemelement jenseits der akademischen Forschung, das die neuen Geschäftsmodelle mit Fragen der Arbeitsgestaltung und Beschäftigungssicherung verbinden kann. Nicht nur in der Hinsicht „Oh wie schlimm ist das alles“, sondern auch im Sinne einer wohlverstandenen Sozialen Innovation. Das Innovationsbarometer von ver.di (z.B. Roth und Müller, Innovationsgestaltung durch Organisierte Mitbestimmung - Ergebnisse des ver.di-Innovationsbarometers 2011 in: ver.di (Hg.) Dienstleistungs-innovationen: offen, sozial, nachhaltig. S. 68-76, 2015) weist daraufhin, wie wichtig die Erhöhung der Innovationsfähigkeit der betrieblichen Interessenvertretungen ist. Zugleich stellen Roth und Müller aber auch fest: „Sowohl Unternehmensleitung als auch die Mitbestimmungsorgane scheinen die Förderung von Innovationen bisher noch nicht als primäre Aufgabe der betrieblichen Interessenvertretung wahrzunehmen.“

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