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Kolumne Gerd Ernst

Machen wir uns nichts vor – die „Öffentlichen Dienstleistungen“ haben massiv an Strahlkraft verloren, nicht nur für die Bürger und Bürgerinnen, sondern auch für die Beschäftigten. Die Finanzkrise führt dazu, „öffentliche Dienste“ zu minimieren, zu privatisieren oder ganz einfach abzuschaffen. Die veränderte Wertschätzung der „Öffentlichen Dienstleistungen“ war verbunden mit der Vorherrschaft des Monetarismus und einem Wandel hin zu einer „Verbetriebswirtschaftlichung der Wirtschaftswissenschaften“ sowie dem Ende anspruchsvoller Erfolgskontroll- und Planungsinstrumente. Doch auch die Strahlkraft hinsichtlich der Beschäftigung ändert sich. Abgesenkte Anfangsbesoldungen, Zeitverträge sind in den letzten Jahren Normalität geworden. Auch hinsichtlich der Belastungen in zentralen Bereichen der „Öffentlichen Dienstleistungen“ sieht es nicht gut aus. So berichtet der DGB-Index Gute Arbeit (o.J.) von einem Anteil an Erwerbsminderungsrenten bei Sozialpflegerischen, Gesundheits- und Verkehrsberufen von 26 bis 32% (Metallerzeugung und -bearbeitung 22 Prozent).

Mit dem Konzept der „Gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen“ wird ein alternativer Zukunftspfad aufgezeichnet. Das Konzept der Gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen soll in der Vorstellung von Sozialer Gerechtigkeit verankert und Dienstleistungs- und Arbeitswissenschaft zur Weiterentwicklung und Realisierung des Konzeptes genutzt werden. Ein hehrer Anspruch. Den Gesellschaftlich Notwendigen Dienstleistungen soll ein Konzept der „Sozialen Innovation“ zu Grunde liegen. Im Gegensatz zu den üblichen Innovationskonzepten steht das Konzept explizit in einen gesellschaftlichen Bewertungszusammenhang: Soziale Innovationen werden als mit sozialem Wandel einhergehende Neuerungen verstanden, die die positive Beeinflussung der Möglichkeiten und Lebenssituationen einer Gesellschaft zum Ziel haben. Sie sind gesellschaftlich folgenreiche, vom vorher gewohnten Schema abweichende Regelungen von Tätigkeiten und Vorgehensweisen. Damit wird die Interessenlage deutlich gemacht und nicht hinter einem angeblichen „ideologiefreien“ Ansatz versteckt.

Insgesamt scheint das Konzept der „Sozialen Innovation“ vielversprechend für einen Diskurs um Innovationen in und mit Dienstleistungen zu sein. Doch die „Gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen“ bedürfen neuer Produktivitätskonzepte. Denn ein Produktivitätskonzept, das nur nach kurzfristigen Kostensenkungen schaut und Kostenverschiebungen in andere Bereiche riskiert, ist völlig fehl am Platz. Eng verbunden mit einem neuen Produktivitätskonzept ist ein Professionalisierungs­konzept der Dienstleistungen. Dabei geht es nicht nur um professionelle, wertgeschätzte Arbeit, sondern um die professionelle Gestaltung des Dienstleistungssystems. Die „Abkehr vom Industrialismus“ bedeutet nicht einen Abbau des Verarbeitenden Gewerbes, sondern eine Transformation einer gesellschaftlichen Struktur. Heute sieht es so aus, als ob das Gefüge industrieller Ordnungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, Architekturen und Denkweisen sich auch über die Gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen stülpen. Inzwischen scheint man die „Industrialisierung“ der Dienstleistungen für normal zu halten. Dies gilt für die Arbeit mit einer immer stärkeren Taylorisierung und Vermarktlichung der Arbeit, die Prekarisierung der Beschäftigung und für die Organisationen mit neuen Formen des Outsourcing und Offshoring. Doch ein Industrialisierungskonzept dieser Art ist kein unausweichlicher Trend, sondern ein Entwicklungsmodell, das sich in der Konkurrenz zu anderen behaupten muss.

Ein anderes Entwicklungsmodell orientiert sich am Nutzen für Berger und Bürgerinnen und an der Kreativität und Motivation der Beschäftigten. Es ist immer schön, vom Einnehmen der Kundenperspektive zu reden. Das ist aber in der Realität der Gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen nicht einfach. Open Innovation mit Bürgern und Bürgerinnen, die an diesem Prozess nicht teilnehmen können (seien es kognitive Gründe, sei es technischer Zugang) oder nicht teilnehmen wollen, geht nicht. Die abgespeckten „Normal“Kommunalverwaltungen, die die Dienstleistungen später erbringen sollen, verfügen nicht über das Wissen und die personellen Kapazitäten, einen Innovationsprozess mit Bürgerbeteiligung in Gang zu setzen, geschweige denn, dass sie im Stande sind, den folgenden Dienstleistungsentwicklungsprozess zu übernehmen. Gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen neu zu gestalten, ist noch immer gegen den Zeitgeist. Aber angesichts der Krisen und Umbrüche ist es notwendig und angemessen, neue Dienstleistungskonzepte verbunden mit Guter Arbeit zu entwickeln. Wir müssen für ein funktionierendes Gemeinwesen und gegen die soziale Ungleichheit neue Konzepte verfolgen, die über einfache monetäre Transferleistungen hinausgehen. Wir dürfen uns bei neuen Konzeptionen auch nicht davon abhalten lassen, dass wir erst am Anfang stehen. Eine verstärkte Forschungsarbeit und eine breite gesellschaftliche Diskussion sind notwendig, um aus der heutigen Sackgasse herauszukommen.

Gerd Ernst Juni 2014
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