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Kolumne Gerd Ernst

„Wie Dienstleistungsarbeit zukünftig aussehen wird, ist….relativ offen. Man weiss, es wird sich vieles ändern, nur weiss keiner genau wie.“ (Buschmeyer, Munz, 2020, S.219[1]). Diese Aussage ist zwar richtig, aber die Gestaltung von Aus-, Fort- und Weiterbildung im beruflichen Kontext ist ohne die Berücksichtigung zukünftiger Beschäftigungsfelder und Arbeitsaufgaben sinnlos. Wir müssen deshalb untersuchen, welche Hinweise (mit Szenarien- nicht Prognosecharakter) vorhanden sind.

Für Deutschland gibt es quantitative Zukunftsszenarien zur Entwicklung von Beschäftigungsfeldern durch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (Zika et al., 2019[2]). Sie geben – jenseits aller Unwägbarkeiten („Schwarze Schwäne“, Methodik usw.) – erste Hinweise, wie sich Beschäftigung in Deutschland  entwickeln kann. Daraus sind dann auch Handlungsempfehlungen für Arbeits-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik ableitbar, die fundierter sind als Hinweise aus anderen nationalen Wirtschaftssystemen. Danach sinkt der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Beschäftigtenzahl weiter, der Wertschöpfungsanteil bleibt weiterhin hoch. Das bedeutet, dass sich die Beschäftigung weiter vom Industrie- zum Dienstleistungssektor hin verschiebt. Speziell wird sich die Beschäftigung in die sozialen Dienste „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ verlagern Vogler-Ludwig et al., 2016[3]).

Für die Entwicklung der Arbeitsaufgaben fehlen entsprechende Zukunftsszenarien. Es sind also zunächst nur persönliche Eindrücke zur Abschätzung der Zukunft möglich. Menschengerecht gestaltete Arbeitsaufgaben sind vollständig, abwechslungsreich, mit Entscheidungsspielraum und mit Kooperationsmöglichkeiten zu gestalten. Dies sehen die entsprechenden Normen vor. Auf der Ebene des Umgangs mit Dingen (z.B. Lagerei und Logistik) mit Wissen (z.B. Büro und Verwaltung) sowie mit Menschen (Beratung, Betreuen, Pflegen) gibt es Vermutungen, dass die Gestaltungskriterien nicht eingehalten werden. In der Lagerei werden elektronisch unterstützte Arbeitsaufgaben ohne Gestaltungsspielraum festgelegt („Picken“). Die interne Abwicklung von Anträgen in den Verwaltungen werden auf das Niveau von Fliessbandarbeit abgesenkt. In Handelsunternehmen werden durch Outsourcing Arbeitsaufgaben auf eintönige Auffüllarbeiten festgeschrieben.

Daraus können folgende Thesen abgeleitet werden:

  • Wenn in Zukunft die Personenbezogenen Dienstleistungen zunehmen und die Verarbeitenden Tätigkeiten abnehmen, ist eine Weiter- und Fortbildung in den Verarbeitenden Tätigkeiten nicht nur unsinnig, sondern sie erweckt bei den Lernenden auch falsche Hoffnungen. Wir müssen stattdessen einen Typ von „Neuausbildung“ finden, der Erwachsene anspricht, die in anderen Beschäftigungsfeldern tätig waren.
  • Wenn „Picken“ die Arbeit der Zukunft ist, passt dazu keine hochwertige berufliche Aus-, Weiter- und Fortbildung.
  • Wenn die sozialen Kontakte und die damit verbundenen Sozialkompetenzen auf die Telefon- und Videokonferenzen im Home-Office zurückgedrängt werden, ist eine umfassende Bildung von Sozialer Kompetenz überflüssig.
  • Aus-, Fort- und Weiterbildung interagieren mit Beschäftigungsfeldern und Arbeitsaufgaben. Aber einfach zu glauben, höhere Bildungsanstrengungen führten automatisch zu einer Steigerung der „Erwerbsfähigkeit“ ist falsch. Denn bei schlecht gestalteten Arbeitsaufgaben „verlernen“ Menschen ihre nicht genutzten Fähigkeiten und Fertigkeiten und bilden bei unzureichenden Arbeitsaufgaben unangemessene Kompetenzen. Kurz: 20 Jahre schlechte Arbeit zerstören jede berufliche Qualifikation und Kompetenz.

Fazit: Wir müssen uns über die zukünftigen Beschäftigungsfelder und die Entwicklung der Arbeitsaufgaben klar werden. Beschäftigungsfelder weniger, aber Arbeitsaufgaben sind auf organisationaler Ebene gestaltbar und müssen nach den Regeln für eine menschengerechte Arbeit gestaltet werden. Dann sind auch neue Anstrengungen in beruflicher Aus-, Weiter- und Fortbildung sinnvoll.

Klassische Aus-, Weiter und Fortbildung sind in der heutigen Ausprägung ein „Anpassungsansatz“. Inwieweit daraus ein emanzipatorischer Ansatz werden kann (im Sinne der alten „Arbeiterbildung“) ist unklar. Eine Möglichkeit ist, Bildung aus den allein dem Betrieb nützenden Logiken herauszuziehen (Buschmeyer und Munz, 2020). Bildungsmaßnahmen würden damit „der Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung von Beschäftigten dienen, um somit Zukunftsfähigkeit nicht nur von Unternehmen, sondern gerade auch von Berufsbiografien sicherzustellen“ (a.a.O., S. 219). Mit der Forderung nach selbstorganisierendem Lernen muss sich auch die berufliche Weiter- und Fortbildung ändern. Sie muss vom arbeitenden Subjekt her denken und den gesamten Prozess des Arbeitens in den Blick nehmen.

[1] Jost Buschmeyer und Claudia Munz: Betriebliches Lernen weiter denken – Herausforderungen durch den Wandel von Dienstleistungsarbeit; in_Ernst, G.; Zühlke-Robinert, K.; Finking, G. und Bach,U. (Hg.): Digitale Transformation – Arbeit in Dienstleistungssystmen, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, S.217-226 (2020)

[2] Gerd Zika et al.: FORSCHUNGSBERICHT526/1k -BMAS-Prognose „Digitalisierte Arbeitswelt“, BMAS (2019)

[3]  Kurt Vogler-Ludwig, Nicola Düll, Ben Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 -Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter Prognose 2016, BMAS (2016)

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