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Kolumne Gerd Ernst

480px SARS CoV 2 without backgroundIm Gefolge der Corona-Krise wird sehr ausführlich über Arbeit im Home-Office und deren Konstituierung in Nach-Krisenzeiten diskutiert. Diese Diskussion zeigt zwei sehr interessante Züge:

Es ist unklar, worüber eigentlich diskutiert wird. Ist „Arbeit“ ein durchschnittlich 8-stündiger Arbeitstag mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 48-Stunden? Ist das Home-Office wirklich ein “Büro zuhause“, oder eher ein Laptop auf dem Küchentisch. Davor sitzt auf manchen Bildern eine Frau/ ein Mann auf einem Küchenstuhl, die/ der neben ihrer Tätigkeit (Arbeit?) manchmal auch noch Kinder beaufsichtigt und betreut. („Bilder zu Home-Offices“: https://www.ingenieur.de/karriere/arbeitsleben/alltag/home-office-das-wichtigsten-vorteile-nachteile/; https://www.faz.net/aktuell/stil/leib-seele/corona-psychologin-raet-zu-strukturen-im-homeoffice-16696021.html;https://www.rbb24.de/wirtschaft/thema/2020/coronavirus/beitraege/home-office-arbeitnehmer-laptop-zuhause-.html; https://www.haufe.de/steuern/rechtsprechung/haeusliches-arbeitszimmer-bei-telearbeitsplatz_166_258810.html; https://www.karrierepropeller.de/telearbeit/; https://www.telecom-handel.de/consumer-communications/corona-krise/so-vermeiden-home-office-koller-2519625.html; https://www.gettyimages.de/fotos/home-office?mediatype=photography&phrase=home%20office&sort=mostpopular#

Die seit 40 Jahren vorhandenen und weiterentwickelten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Büro- und Bildschirmarbeit sowie die darauf aufbauenden z.T. gesetzlichen Gestaltungsregeln werden grundsätzlich und vielleicht auch vorsätzlich nicht beachtet.

Inzwischen hat sich die IG Metall zu Wort gemeldet und Mindestausstattung für Telearbeit gefordert (z.B. https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/homeoffice-ig-metall-100.html). Diese Mindestausstattung bleibt allerdings hinter den arbeitswissenschaftlich fundierten Ansätzen deutlich zurück.  Ziel der arbeitswissenschaftlich fundierten Gestaltung ist Wohlergehen und Gesundheit von Menschen zu erhalten. Im folgenden werden die Probleme der mangelnden sozialen Kontakte und der mangelnden Beteiligung nicht betrachtet (vgl. Jörg Hofmann; Die Zukunft nach Corona: Für eine sozial ökologische Wende; Blätter für Deutsche und internationale Politik, Heft 9, S.94-100 (2020)). Zu den hier behandelten Schädigungen gehören Wirbelsäulenprobleme, Probleme des Hand-Arm-Systems und Augenprobleme. Deshalb wird besonderer Wert auf die Gestaltung des Bildschirmarbeitsplatzes gelegt. Der Bildschirmarbeitsplatz ist mit Bildschirmgerät sowie gegebenenfalls mit Zusatzgeräten und Arbeitsmitteln ausgerüstet. Arbeitsmittel sind Maschinen und Geräte, Möbel und Einrichtungen, andere im Arbeitssystem benutzte Gegenstände sowie die eingesetzte Software. Zu der Einrichtung gehören z.B. ein höhenverstellbarer Arbeitstisch mit ausreichender Arbeitsfläche und ein an die Person anpassbarer Büroarbeitsstuhl inkl. einer Fußstütze.

Um den unterschiedlichen Arbeitsaufgaben gerecht zu werden, wurden in Deutschland zwei Typen von Bildschirmarbeitsplätzen ausserhalb des Büros entwickelt: der Telearbeitsplatz als „Dauerarbeitsplatz“ und die „mobile Arbeit“. Telearbeitsplätze sind vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat.  Ein Telearbeitsplatz ist vom Arbeitgeber erst dann eingerichtet, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte die Bedingungen der Telearbeit im Rahmen einer Vereinbarung festgelegt haben und die benötigte Ausstattung des Telearbeitsplatzes mit Mobiliar, Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtungen durch den Arbeitgeber oder eine von ihm beauftragte Person im Privatbereich des Beschäftigten bereitgestellt und installiert ist. Die Kosten hierfür werden vom Arbeitgeber getragen.

Mobiles Arbeiten unter Nutzung von Bildschirmgeräten ist sporadische oder nicht einen ganzen Arbeitstag umfassende Arbeit mit einem PC bzw. einem tragbaren Bildschirmgerät (Notebook, Tablet etc.). In Abgrenzung zum Telearbeitsplatz zeichnet sich diese Arbeitsweise dadurch aus, dass sie örtlich nicht gebunden ist. Solche Tätigkeiten können z. B. das Arbeiten im Wohnbereich des Beschäftigten aber auch das Arbeiten mit Notebook im Rahmen von Dienstreisen (Zug, Flughafen etc.) umfassen. Allerdings gibt es keine genauen Regeln, was hier mit „sporadisch“ und „nicht den ganzen Arbeitstag umfassende Arbeit“ gemeint ist.

Dabei ist zu beachten, dass Notebooks und Tablets, die nicht die sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und ergonomischen Forderungen erfüllen, insbesondere bezüglich der Tastaturausführung, der Trennung der Tastatur vom Bildschirm oder der Qualität der Zeichendarstellung, nicht für die regelmäßige Benutzung an einem Büroarbeitsplatz, also auch nicht für einen Telearbeitsplatz geeignet sind. Dies gilt nicht für ihren Einsatz in entsprechend ausgestatteten Dockingstationen.

Der Vorschlag der IG Metall deutet die Verantwortung der Arbeitgeber schon an. Doch die Pflichten des Arbeitgebers gehen über die Gestellung der Möbel hinaus. Das Unternehmen hat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu treffen. Kosten für Maßnahmen nach den geltenden Unfallverhütungsvorschriften darf der Unternehmer nicht den Versicherten auferlegen. Der Vorschlag der IG Metall ist daher nichts anderes als die Beschreibung des seitlanger Zeit geltenden Zustandes.

Bei der erstmaligen Beurteilung der Arbeitsbedingungen an einem Telearbeitsplatz nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber zunächst festzustellen, ob die Beschäftigten Gefährdungen beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten ausgesetzt sind oder ausgesetzt sein können. Ist dies der Fall, hat er alle möglichen Gefährdungen der Sicherheit und der Gesundheit der Beschäftigten zu beurteilen und dabei die Auswirkungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsabläufe in der Arbeitsstätte zu berücksichtigen. Bei der Gefährdungsbeurteilung hat er die physischen und psychischen Belastungen sowie bei Bildschirmarbeitsplätzen insbesondere die Belastungen der Augen oder die Gefährdung des Sehvermögens der Beschäftigten zu berücksichtigen. Entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten gemäß den Vorschriften nach dem Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene festzulegen. Sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse sind zu berücksichtigen. Auch bei einem Telearbeitsplatz hat der Arbeitgeber den Beschäftigten ausreichende und angemessene Informationen anhand der Gefährdungsbeurteilung in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören insbesondere alle gesundheits- und sicherheitsrelevanten Fragen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit und alle Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten durchgeführt werden müssen. Die Beschäftigten sind auch am Telearbeitsplatz nicht frei „wie zu Hause“. Sie sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen.

Das Konzept eines Home-Offices ist für Gestaltung der menschengerechten Gestaltung der Arbeit wegen seiner fehlenden Definition und seinem unklaren Gebrauch nicht nutzbar. In Deutschland sind arbeitswissenschaftlich fundierte Modelle mit dem Telearbeitsplatz und dem mobilen Arbeiten seit Jahren bekannt und könnten ohne großartige Probleme in betriebliche Lösungen umgesetzt werden.


[1] Die Darstellung beruht auf DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) Information 215-410, Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Leitfaden für die Gestaltung vom Juli 2019. Dort sind auch weitergehende Gestaltungshinweise vorhanden. DGUV Informationen sind Zusammenstellungen von Inhalten aus staatlichen Arbeitsschutzvorschriften (Gesetze, Verordnungen), Unfallverhütungsvorschriften, technischen Spezifikationen, insbesondere (harmonisierten) Normen und den Erfahrungen der Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger. Zitate sind NICHT gekennzeichnet!

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