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Kolumne Gerd Ernst

gesundheitswirtschaft kleinAm 19.3. fand die Veranstaltung „Systematisch Human - Die Zukunft der Interaktionsarbeit “ des Projektes Social Service Engineering statt. In diesem Vorhaben arbeiten Arbeitswissenschaft und Dienstleistungswissenschaft zusammen, um ein gemeinsames Verständnis für die Gestaltung „Guter Dienstleistungen und Guter Arbeit“ zu gewinnen.

Auf einem der Workshops der insgesamt sehr interessanten Veranstaltung ging es um die Zuordnung unterschiedlicher Begriffe (?) zur Arbeits- bzw. Dienstleistungswissenschaft. Auf eine Linie in der Mitte sollten alle die Begriffe (?) eingeordnet werden, die beiden Disziplinen gemeinsam waren. Neben den normalen Begriffen (?) hatten die Veranstalter das Bild einer Kaffeetasse platziert. Das Bild wurde lange Zeit nicht beachtet und zum Schluss auf die Mitte gesetzt. Jetzt begann auf einmal eine spannende Diskussion um die Konnotation. „Für mich bedeutet die Kaffeetasse, Arbeitspause, Entspannung von der Arbeit“, so die Arbeitswissenschaftlerin. „Für mich bedeutet die Tasse Kaffee eine Zusatzleistung z.B. beim Friseur, die zu meiner Entspannung und Zufriedenheit beiträgt“, so die Dienstleistungswissenschaftlerin. Was ist hier geschehen? Natürlich ist eine Kaffeetasse ein schwieriges Objekt bei der Einordnung zu Arbeits- oder Dienstleistungswissenschaft. Zur gleichen Zeit wird aber auch klar, dass die theoretischen Grundlagen für die Zuordnungsentscheidung nicht klar kommuniziert wurden.

Um die Komplexität der Diskussion zu verdeutlichen, soll ein Ebenenmodell der Dienstleistungswissenschaft (Ernst, Zühlke -Robinet, 2018; Ernst, Zühlke-Robinet, Finking, Bach, 2020) unterlegt werden. Die Ebenen sind:

  • Dienstleistung, Gesellschaft
  • Dienstleistung, Markt, Wirtschaft
  • Dienstleistungsentwicklung
  • Dienstleistungsproduktion
  • Grundlegende Modellentwicklung.

Die oberste Ebene „Dienstleistung, Gesellschaft“ beinhaltet die grundlegenden Konzepte der Gesellschaft und der Wirtschaftsverfassung. Die Ebene „Dienstleistung, Markt, Wirtschaft“ beinhaltet Fragen der Beschäftigung, der Regulierung und der Anreizsysteme. Die beiden nächsten Ebenen sind für die vorliegende Diskussion besonders wichtig. Die Ebene der „Dienstleistungsentwicklung“ umfasst die Beschreibung des Produkt-, Prozess-, ArbKaffeetasse Zusatzeits- und Technikmodells. Kernelemente auf der Ebene „Dienstleistungsproduktion“ sind das Arbeitshandeln sowie organisatorisches und personales Arbeitsergebnis. Das organisatorische Arbeitsergebnis wird meist mit den Kriterien der Effektivität und Effizienz (zur Problematik der Dienstleistungsproduktivität vgl. Ernst und Zühlke-Robinet, a.a.O., S. 66ff) bewertet. Die meiste Beachtung bei den personalen Arbeitsergebnissen findet die physische und psychische Beanspruchung, weniger die Persönlichkeitsentwicklung in der Arbeit.

Nehmen wir uns die „Kaffeetasse“ vor, so ist leicht zu erkennen, dass sie zunächst zur Ebene der Dienstleistungsentwicklung („Zusatzleistung“ und „Arbeitspause“ in der Diskussion) gehört. Es wird deutlich, dass die „KaKaffeetase Arbeitffeetasse“ mit unterschiedlichen Bedeutungen in das Produktmodell (Zusatzleistung) und in das Arbeitsmodell (Pause) gehört. Allerdings bleibt in beiden Diskussionsbeiträgen unklar, wie die gegenseitigen Auswirkungen sind. Die „Kaffeetasse“ als Leistung in dem Produktmodell muss sich im Prozessmodell abbilden und hat Konsequenzen für das Arbeitsmodell – insbesondere hinsichtlich der Aufgabengestaltung (Wer führt diese Zusatzleistung aus? Auswirkungen auf den Arbeitsschutz?). Die „Kaffeetasse“ als Teil des Arbeitsmodells hat wiederum Konsequenzen auf das Prozessmodell. Wie ist die Verteilung der Pausen und der Kaffeegenuss hinsichtlich der Interaktion mit den Kunden geregelt? Damit wird deutlich, wie aus dem einfachen Bild der „Kaffeetasse“ ein zentrales Problem des Social Service Engineering wird.

Doch hinter den Äusserungen zur „Kaffeetasse“ verbergen sich nicht nur Konzepte der Dienstleistungsentwicklung, sondern auch solche der Ebene „Dienstleistungsproduktion“. Die Ebene umfasst das Handeln von Kunden und Arbeitenden, sowie organisatorisches und personales Arbeitsergebnis.

Arbeitshandeln wird in der Arbeitswissenschaft vertieft behandelt. Arbeitshandeln ist nicht ein einfaches Abarbeiten des Auftrages, sondern die „übernommene Aufgabe >ist> eine individuelle Interpretation des objektiven Auftrages“, wie HACKER schon vor über 30 Jahren feststellte (nach Ernst, 2020, S. 213). Vergleichbares gilt auch für den Kunden: das in der Dienstleistungsentwicklung formulierte Produktmodell wird vom Kunden individuell interpretiert und individuell gehandelt. Daraus entsteht in der Interaktionsarbeit die Notwendigkeit der

 „Kooperationsregulierung“. In der Diskussion ist diese Schwierigkeit durch das individuelle Agieren der Partnerinnen leider nicht deutlich geworden. Zum „organisatorischen Arbeitsergebnis“ gehört aus der Diskussion „Entspannung und Zufriedenheit“ und zu dem „personalen Arbeitsergebnis“ die „Entspannung von der Arbeit“.

Es mag vielleicht „over-sophisticated“ sein, am Kaffee grundlegende Überlegungen zum Social Service Engeneering anzustellen. Aber schon an diesem „einfachen“ Bild einer Kaffeetasse konnte gezeigt werden, dass zur Entwicklung eines Social Service Engineering ein theoretisches Konzept für Dienstleistungs- und Arbeitswissenschaft zu Grunde gelegt werden muss. Eine einfache „common-sense“ Betrachtung führt hier nicht weiter, sondern verwischt Gestaltungsnotwendigkeiten und -probleme.


Ernst, Gerhard; Zühlke-Robinet, Klaus: Dienstleistungen – Wissenschaft und Forschung, Arbeit und Innovation, Nomos, Baden-Baden (2018)

Ernst, Gerhard; Zühlke-Robinet, Klaus; Finking, Gerhard; Bach, Ursula (Hg.): Digitale Transformation – Arbeit in Dienstleistungssystemen, Nomos, Baden-Baden, (2020)

Ernst, Gerhard: Arbeitsgestaltung in der Dienstleistungsentwicklung, in: Ernst, G.; Zühlke-Robinet, K.; Finking, G.; Bach, U. (Hg.): Digitale Transformation – Arbeit in Dienstleistungssystemen, Nomos, Baden-Baden, S. 107-112 (2020)

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