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Welche Dienstleistungen hemmen den sozialökologischen Umbau, welche fördern ihn?

Zur Notwendigkeit eines sozial-ökologischen Umbaus

 In seinem Aufsatz „Gedanken zu Dienstleistungen und Dienstleistungswirtschaft in der sozialökologischen Transformation“ sucht Gerd Ernst nach dem „positiven oder negativen Potential der Dienstleistungen“ für eine sozial-ökologische Transformation. Um diese umfangreiche Thematik einzugrenzen, beschränkt er sich auf den Energiebereich, da allein dieser zur Hälfte für die globale Klimaerwärmung durch Kohlendioxid CO2 verantwortlich ist. Im Einklang mit zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen ist für ihn klar, dass ein sozialökologischer Strukturwandel großer Teile des verarbeitenden Gewerbes unabdingbar ist.

Wie sieht es nun bei den Dienstleistungen aus? Auch hier zieht Ernst eine ernüchternde Bilanz. Die Just-in-time-Strategien der Automobilkonzerne haben die Produktion mit den Transportdienstleistungen so verzahnt, dass diese in einen sozial-ökologischen Umbau mit einzubeziehen sind.

Auch die Hoffnung der Bundesregierung, dass digitale Dienstleistungen signifikant zur Entkoppelung von Wohlstandsentwicklung und Ökosystembelastung beitragen, hat sich nicht bewahrheitet. Auf der aktuellen Startseite des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)“, der 1992 im Umfeld der Rio-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“, gegründet wurde, heißt es: „Die Digitalisierung geht mit immer weiter steigendem Energie- und Ressourcenverbrauch sowie globalen Produktions- und Konsumtionsmustern einher, die die Ökosysteme noch massiver belasten“ (www.wbgu.de).

Gerd Ernst beschließt seine Gedanken mit der überraschenden Feststellung: „Bisherige Ansätze der ökologischen Forschung behandeln das Thema `Dienstleistungen´ nur randständig. Welchen Beitrag Dienstleistungen zu einer erfolgreichen Transformation beitragen können, wird nicht ausreichend untersucht“.

Dienstleistungen, die den sozialökologischen Umbau hemmen

Die ökologische Forschung, die sich seit den 1980er Jahren als Reaktion auf die „Grenzen des Wachstums“ entwickelte, konnte und kann nur gegen den Widerstand aus Wirtschaft und Politik die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass zu den sozialen Risiken der Lohnarbeitsexistenz auch die Risiken der gesellschaftlichen Naturverhältnisse getreten sind. Es sind also wesentlich die technischen, ökonomischen und politischen Dienstleistungen, die in den letzten 50 Jahren aus der industriellen die digitale Gesellschaft, aus der sozialen Marktwirtschaft den die Umwelt zerstörenden, das Klima verändernden und Epidemien ermöglichenden neoliberalen Kapitalismus und nicht zuletzt aus dem nationalen Sozialstaat den nationalen Wettbewerbsstaat geschaffen haben. Allen Beteuerungen aus Wirtschaft und Politik, einen „Green Deal“ einzuleiten, sprechen ihre tatsächlichen Dienstleistungen Hohn.

Es sind die technischen Dienstleistungen hochqualifizierter Ingenieure und Datenverarbeitungskräfte in den IT- und Industriekonzernen, die die IuK-Technik, die Digitalisierung und KI zum Vorteil von Wettbewerbsfähigkeit, Export und Profit und zum Nachteil der Ökologie entwickeln und anwenden. Und es sind die Dienstleistungen der Politik, die die IT- und Industriekonzerne mit Forschungsprogrammen und Subventionen fördern und die sozialen (gute Arbeit) und die ökologischen (gutes Leben) Interessen der Menschen in Bezug auf Umwelt und Klima vernachlässigen.

Im globalen Geschäft der Daten haben sich monopolartige Strukturen herausgebildet, und die US-IT-Konzerne Google, Apple,Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM-Gruppe) dominieren es. „Unsere Ingenieure helfen Amerika dabei, die globale Führungsrolle in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos oder Hochleistungscomputer zu halten“ (Google-Chef Sündar Pichai, in FR 21.10.20). Der Chefberater der EU-Kommission Paul Nemitz und der Philosoph Matthias Pfeffer warnen vor der Macht dieser Digitalkonzerne, die Demokratie und Gesellschaft bedroht. Sie schreiben: „Die Vorstellung, der Code des Internets sei demokratisch, ist naiv. Es sind Ingenieure und Unternehmen, die bestimmen, wie viel Datenschutz es gibt, wer wie viel Zugang hat und wie wir durch Werbung manipuliert werden können, wenn dies nicht durch demokratische Gesetze entschieden wird“. … „Es ist schon erstaunlich, wie die Demokratien in den USA und in Europa bisher einfach zugesehen haben, wie die Unternehmen mit ihren gewaltigen Profiten die vierte Gewalt im Staate, nämlich den privat finanzierten Journalismus, kaputt zu machen drohen“ (Prinzip Mensch: Macht, Freiheit und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, Dietz 2020).

Nicht nur die Digitalisierung mit Homeoffice, Homeschooling, Online Meetings, Online Shopping ist Gewinner der Coronakrise und verbraucht Unmengen von Strom, der bislang nur zur Hälfte durch erneuerbare Energien gewonnen wird. Es sind auch die Streaming-Services (Netflix, Amazon Prime, Disney usw.) und weitere Entertainmentdienstleistungen wie Videospiele, YouTube oder Tik-Tok, die einerseits den Ausstieg aus der Kohleverstromung verzögern und andererseits 40% der Deutschen, vor allem jüngere NutzerInnen, mit veralteten Geschlechterbildern und sonstigem traditionellem Mist füttern (Bascha Mika, FR 23.10.20).

Ökonomische Dienstleistungen erbringen sowohl Management, Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer in und für Unternehmen als auch Ökonomen, Experten, Gutachter und Lobbyisten in und für Wirtschaftsministerien in Bund und Ländern. Wider wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen werden das Leitbild des homo oeconomicus, Umverteilung von unten nach oben, Vermarktlichung der Bildung, Wirtschaftswachstum, der sich selbst regelnde Markt, Export und Freihandel als Garant für Vollbeschäftigung und als Quelle des Wohlstands für alle ideologisch verteidigt zu Lasten der gesellschaftlichen Naturverhältnisse.

Die Finanzdienstleister der Banken sind den globalen Konzernen nicht nur Experten der Steuervermeidung, sie haben diese auch beim Cum-ex-Skandal mit Milliarden Steuereinsparungen beraten. Die Dienstleister der Investmentgesellschaften (Black Rock und Co) spekulieren nicht nur mit den Wohnungen der Mieter oder mit Grundnahrungsmitteln, sondern haben als einzige Ziele, ihre ökonomische Macht in den Konzernen auszuweiten und das Vermögen ihrer Aktionäre zu vermehren.

Für die zerstörerischen Potentiale der technischen und ökonomischen Dienstleistungen sind auch die politischen Dienstleister in den Ministerien von Bund und Ländern verantwortlich, da sie mit ihrer Strategie der marktkonformen Demokratie ihre schützende und fördernde Hand über die Wirtschaft und ihre Unternehmen halten. Die Folgen sind einerseits die marktkonforme Reduktion des CO2-Ausstosses durch den Handel mit Emissionsrechten, globale Umweltzerstörung und Klimaerwärmung und andererseits zunehmende globale Existenz- und Wirtschaftsprobleme durch Produktionsausfälle in der Coronakrise und beginnende Handelskriege.

Mit politischem Druck erlässt die US-Regierung seit Monaten Strafzölle gegen andere Länder, um Europa, Asien und Lateinamerika dazu zu zwingen, US-amerikanische Güter abzunehmen; diese Politik hat Gewicht, da die USA der größte Importeur der Welt, das bedeutendste Land für ausländische Direktinvestitionen und der größte ausländische Investor ist, von ihrer Führungsmacht im Technologie-, Militär- und Rüstungsbereich ganz zu schweigen.

Es ist diese Verflechtung der technischen, ökonomischen und politischen Dienstleistungen – der neoliberale Kapitalismus braucht die staatliche Unterstützung - , die zB die Wirtschaftsminister in Bund und Ländern dazu anhält, die Kohleverstromung erst 2038 auslaufen zu lassen oder die die Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes, das die Menschen- und Umweltrechte garantieren soll, zu verzögern und/oder zu verwässern.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie für Beschäftigung und Export, aber auch der politische Einfluss ihrer Lobbyisten erklären das Veto der Bundesregierung bei Verschärfung der Abgasnormen und der Geschwindigkeitsbegrenzung sowie das Schweigen beim Dieselskandal, beim   verschlafenen Strukturwandel und bei den millionenschweren Verfehlungen des verantwortlichen Bundesverkehrsministers im Mautskandal.

Ist es Versagen der dienstleistenden Bundeslandwirtschaftsministerin oder Ohnmacht vor den den Bauernverband beherrschenden Agrarkonzernen, dass nach der EU-Agrarreform lediglich 20% der EU-Direkt-Investitionen (387 Mrd EUR) an Umweltauflagen gebunden werden, und das auch erst ab 2023? Dabei sind die Emissionen von Methan (Massentierhaltung) etwa 30-mal so klimawirksam wie CO2. Natürliche Dünger wie Gülle und stickstoffhaltige Kunstdünger belasten nicht nur das Grundwasser, sondern erzeugen Lachgas, das eine 300-mal so starke Wirkung wie Kohlendioxid hat; Pestizide der Pharmakonzerne sind verantwortlich für das Insektensterben in der Landwirtschaft.  

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) beklagt seit Jahrzehnten, dass die Vergabe der Direktsubventionen nach Größe der bewirtschafteten Fläche die Existenz von bäuerlichen Familienbetrieben gefährdet. „Den großen Betrieben werden die Millionen zugeschustert. Aber die vielen kleinen Höfe, die für die Vielfalt in der Lebensmittelproduktion sowie eine ökologisch nachhaltige Produktion stehen, die gehen leer aus“ (Schmitz AbL/NRW, GA 22.1.20).

Dienstleistungen, die den sozialökologischen Umbau fördern

Nun gibt es aber durchaus nach Untersuchungen der Dienstleistungs-Expertin Cornelia Heinze, der Carearbeits-Forscherin Gabriele Winker und vieler Sozialforscher durchaus im Gesundheits- und Pflegebereich die Möglichkeit, diesen zu einem aufwachsenden Wirtschaftsbereich werden zu lassen, der nicht nur für zusätzliche Beschäftigung der Dienstleistenden sorgt, sondern auch die Reproduktion der einzelnen Menschen und der Gesellschaft sichert. Voraussetzung hierfür ist, dass die politischen Dienstleister die öffentliche Daseinsvorsorge prioritär fördern und Abstand nehmen von der Privatisierung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sowie von den Fallpauschalen, die die öffentlichen Krankenhäuser zu Kosteneinsparungen insbesondere beim Personal zwingen und den privaten Krankenhauskonzernen (Helios und Co) Profite bringen.

Insgesamt erfordert dieser Umbau nicht nur die Stärkung des Gesundheitssektors, sondern auch der gesamten sozialen Infrastruktur für Erziehung, Bildung, Wohnen, ÖPNV usw. Dies schließt auch eine bessere qualitative und materielle Ausstattung der häuslichen Pflege durch circa 2 Millionen Familienangehörige ein (Vollversicherung bei der Pflegeversicherung).

Wir sehen, dass für diesen Erhalt und Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge die Förderung der Ökologie- und Dienstleistungsforschung nur ein wichtiger Beitrag ist. Für den sozialökologischen Umbau braucht es insbesondere engagierte Menschen, zivilgesellschaftlichen Druck und eine „sozial-ökologische Reformallianz“ (H-J Urban, Transformation als Bewährungsprobe. Warum eine sozial-ökologische Reformallianz eine unverzichtbare, aber schwierige Angelegenheit bleibt, in Sozialismus 9/2020).

Solche Allianzen hat es 2015 beim Verdi-Kita-Streik zwischen Eltern und Erzieherinnen gegeben und jüngst 2020 bei der gemeinsamen Demonstration von AbL/NRW und „Fridays-for-Future“ (Landwirte und Umweltaktivisten demonstrierten vor Landwirtschaftsministerium, GA 22.10.20).

Auch eine Arbeitsgruppe um den Jenaer Soziologen Klaus Dörre kommt angesichts der ökologischen Herausforderungen zu dem Schluss, dass sich der alte industrielle Klassenkonflikt in einen sozial-ökologischen Transformationskonflikt verwandelt. Sie argumentiert, dass der Umbau der Kohle-und Fahrzeugindustrie durch Sicherheitsgarantien in Dienstleistungsbereichen abgefedert werden kann. „Beschäftigungs- und Statusgarantien für die Industriearbeiterschaft lassen sich mit Forderungen nach einer sozialen, öffentlich finanzierten Infrastruktur verbinden, die Gesundheit, Pflege, Erziehung, Bildung und Mobilität zu öffentlichen Gütern erklärt. Der Post-Corona-Diskurs hat entdeckt, was feministische Debatten um die Krise sozialer Reproduktion seit Jahren thematisieren“ ((Dörre/Holzschuh/Köster/Sittel (Hg), Abschied von Kohle und Auto? Sozialökologische Transformationskonflikte um Energie und Mobilität, Campus 2020; Vorabdruck in OXI 10/2020)).

Um diese Garantien real durchsetzen zu können, rät die Arbeitsgruppe den Pflegerinnen, Krankenschwestern, Bäckern, Arzthelferinnen und Landwirten, „etwas äußerst Provokantes zu tun“, also noch während der Pandemie zu streiken, „denn nur der Mangel an lebensnotwendigen Dienstleistungen und Produkten verhilft ihnen zu wirklicher (Gegen-) Macht“ (a.a.O.).

Um für die notwendige sozial-ökologische Transformation neue Ökologiebewegungen und traditionelle soziale Bewegungen zusammenführen zu können, schlägt die Arbeitsgruppe Transformations- und Nachhaltigkeitsräte vor. „Die Räte dürfen sich keinesfalls allein aus den Repräsentationen von Arbeit, Kapital und Staat zusammensetzen. Um korporative Verkrustungen zu durchbrechen, wäre es ihre Aufgabe, Graswurzelbewegungen, Umweltverbände, Frauenorganisationen, Stadtteilinitiativen, Menschenrechtsgruppen, NGOs und ähnliche zivilgesellschaftliche Gruppen an grundlegenden politischen Weichenstellungen zu beteiligen“ (a.a.O.).

Aufgabe dieser Räte wäre es aktuell, die Verteilung der Gelder für den wirtschaftlichen Wiederaufbau im Zuge der Coronakrise zu überwachen, Vorschläge zur Finanzierung der Coronakrise durch eine einmalige Vermögensabgabe zu unterbreiten, die Aufwertung professioneller Reproduktionsarbeit voranzutreiben, das kollektive Selbstbewusstsein aller Lohnabhängigen zu stärken, usw.

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