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Günter Neubauer

15.07.2016

Ökonomisierung und Digitalisierung der Gesellschaft aktualisieren die Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und Leben

Der neoliberale Angriff auf die Sozialstandards in der Arbeitswelt nach 1989 hat das Bedürfnis nach neuen Humanisierungs-Initiativen und gewerkschaftlichen Aktivitäten wie „Gute Arbeit“ angefacht.

In Anlehnung an das Humanisierungsprogramm der 70er Jahre sind heutige Humanisierungs-Konzepte wie damals auf die Gestaltung betrieblicher Arbeit im Industrie- und Dienstleistungsbereich zugeschnitten. Die Gestaltung der Arbeitswelt wird aber nicht mehr allein durch betriebliche, auch nicht mehr wie bis 1989 durch überbetriebliche nationale, sondern insbesondere durch globale und neoliberale EU-Entscheidungen getroffen. In der Beschränkung auf industrielle Betriebsarbeit liegt eine erste Fehleinschätzung für eine realistische Verbesserung aller Arbeitsbedingungen.
Zweitens scheut sich die gegenwärtige Technikfolgenabschätzung zuzugeben, dass globale IT-Konzerne und ihr neoliberales Management die digitale Rationalisierung im Interesse von Profit, Marktmacht und Wettbewerbssteigerung entwickeln und gestalten. Drittens berücksichtigen die Digitalisierungsdiskussionen nicht, dass die neoliberalen politischen und ökonomischen Strategien der Deregulierung, Privatisierung und Digitalisierung heute alle Bereiche der Produktion, Dienstleistung, Reproduktion, der Freizeit und des Alltagslebens gleichermaßen treffen und ändern.

Ökonomisierung und Digitalisierung vernutzen die Menschen nicht mehr nur als Arbeitende, sondern auch als Kunden und Bürger in der Freizeit; die Grenzen zwischen Arbeit und Leben fallen. Die tayloristische Trennung der Sozialwelt in einen „männlichen“ Bereich der formellen Erwerbsarbeit und in einen „weiblichen“ Bereich der Haus- und Fürsorgearbeit erodiert.
Heutige Humanisierungsoffensiven müssen sich daher auf die ganzheitliche Gestaltung des gesellschaftlichen Arbeitens und Lebens orientieren und die „Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und Leben“ in den Mittelpunkt stellen.

Schon 1974 wurde die Bedeutung der „Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und Leben gesehen“

Im Mai 1974 begründete Forschungsminister Hans Matthöfer die Ziele des Aktions- und Forschungsprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens“ wie folgt:
„Es ist eine öffentliche Aufgabe, allen Menschen die Chance zu geben, Arbeit als einen zentralen Bestandteil ihres Lebens ebenso positiv zu erleben wie die Freizeit. Der Mensch ist an seinem Arbeitsplatz einer Vielzahl von Beschränkungen und belastenden Einflüssen ausgesetzt, die seine Entfaltungsmöglichkeiten, seine Gesundheit und sein Wohlbefinden beeinflussen und weit in die übrigen Lebensbereiche hineinwirken. Die Forderung nach einer besseren Qualität des Lebens beziehen daher Millionen von Arbeitnehmern vor allem auf ihren Arbeitsplatz“ (Vorwort, S. 1).

Nach 25 Jahren intensiver Rationalisierung der Arbeitswelt im Interesse des Wiederaufbaus stand 1974 die Humanisierung der Arbeitsbedingungen im Vordergrund, ohne dass deren Wirkungen auf das Leben der Arbeitenden übersehen wurden:

  • die schädlichen Folgen von Arbeitsunfällen, Lärm, gefährlichen Arbeitsstoffen usw. auf das Leben der Menschen, also auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit, auf Physis und Psyche der Menschen bedurften der Klärung und Beseitigung;
  • verbesserte Arbeitsbedingungen wurden gleichgesetzt mit „sozialer Lebensqualität“ bzw. „Lebensqualität am Arbeitsplatz“: „es kommt auch darauf an, dem Menschen eine ihn interessierende, befriedigende Arbeit zu geben, ihm zu ermöglichen, seine Fähigkeiten einzusetzen und weiterzuentwickeln“ (S. 13).

Damit diese Humanisierungsmaßnahmen ergriffen werden konnten, enthielt das Programm den Schwerpunkt „Wechselbeziehungen zwischen Arbeitswelt und den anderen Lebensbereichen“:
„Es muss z.B. gefragt werden, ob und in welcher Weise der Wohlstandszuwachs, die Bildungsmöglichkeiten, die Familiensituation, die soziale Sicherung oder auch die Wohnverhältnisse den Stand der Arbeitsbedingungen beeinflussen. .. Ganz
entscheidend ist der prägende Einfluss der Erfahrungen in der Arbeit auf die Einstellungen und Verhaltensweisen im übrigen gesellschaftlichen und auch im privaten Bereich“ (S. 19).

Dem Übergang vom sozialen zum neoliberalen Kapitalismus musste auch das im November 1989 neugefasste Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Arbeit und Technik“ Tribut zollen. „Die Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen sowie der Umwelt unter Einbeziehung räumlicher und demographischer Entwicklungsbedingungen“ verschwand als eine von mehreren Aufgaben unter dem abstrakten Schwerpunkt „Programmbezogene und -übergreifende Forschung“ (S. 35).
Die Entgrenzung der Arbeit begrenzt die bisherige Arbeitspolitik
Die neoliberale Unternehmenspolitik der Kostenreduzierung und -externalisierung verschlechtert sowohl die Arbeits- wie auch die Lebensbedingungen bis hin zur Gefährdung der Reproduktion der Arbeitskraft.

Sind heute auch die meisten deutschen Industrieunternehmen weitgehend von gefährlichen Arbeitsstoffen befreit, so haben Kohleverstromung, zunehmender Verkehr sowie der industrielle Ausstoß von Feinstaub und anderen Schadstoffen die Luftverschmutzung außerhalb der Arbeitswelt vorangetrieben. Die grenzüberschreitende Luftverschmutzung fordert in Europa Tausende vorzeitiger Toter sowie zehntausende Fälle von Herz- und Lungenkrankheiten.
Für diese von der Industrie externalisierten Emissionen zahlen die Steuerzahler 60 Mrd. Euro Gesundheitskosten pro Jahr, Mittel, die für notwendige Sozialleistungen fehlen.
Der politisch tabuisierte Diesel-Skandal zeigt aktuell den Vorrang wirtschaftlicher vor gesundheitlichen Lebensinteressen.

Die gegenwärtige Vorherrschaft neoliberaler Kräfteverhältnisse hat zunehmend zu unsicheren und nicht existenzsichernden Beschäftigungsverhältnissen geführt, die bis in die Mittelschicht reichen. Da prekäre Beschäftigung auch als Verlust von sozialer Anerkennung erfahren werden kann, werden Auswirkungen auf den ganzen Lebenszusammenhang vermutet. „Prekarisierung trägt zur postdemokratischen Tendenz bei. Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse entziehen dem gesellschaftlichen Engagement Teilhabe und Energie“ (Robert Castel/Klaus Dörre).

Die Digitalisierung erfasst heute die gesamte Gesellschaft; von der digitalen Transformation sind nicht nur die Fertigungsbereiche einer Industrie 4.0, sondern auch die Büros der Verwaltung sowie die wissenschaftliche Forschung und Entwicklung betroffen.In diesen beschäftigungsstarken Feldern wird von der „Taylorisierung der Kopfarbeit“ gesprochen.
Im neuen BMBF–Programm „Zukunft der Arbeit - Informationen für die Arbeit von morgen“ (Jan. 2016) betont Forschungsministerin Johanna Wanka zurecht, dass der digitale Wandel, „auch spürbare Auswirkungen auf unsere Art zu leben und zu arbeiten“ hat. Das Programm soll Antworten und Gestaltungsoptionen liefern: „Wir laden Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein, am Forschungsprogramm mitzuwirken und unsere gemeinsame Arbeitswelt mit Innovationen zukunftsfest zu machen. Damit wollen wir nicht nur Nachhaltigkeit sichern und Wettbewerbsfähigkeit fördern, wir wollen damit allen in unserem Land weiterhin ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen“ (Vorwort, S. 4).
Insgesamt ist sich das Programm daher sicher, dass gerade mit Digitalisierung und Modernisierungen Arbeits- und Lebensformen zukunftsfähig gestaltet werden können:
„Zu den maßgeblichen Trends wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung gehören in jüngster Zeit verstärkte Ansätze zu qualitativem Wachstum, das auf die Verbesserung der Lebensqualität, Schonung der Umwelt und angemessene Einkommen zielt“ (BMBF, S. 41).
Die Gewerkschaften, die von der Forschungsministerin nicht zur Mitarbeit am Programm eingeladen wurden, sehen diese Realität anders.

Internet und smarte Endgeräte machen die Arbeit unabhängig von Raum und Zeit. Entsprechend wird unter dem Stichwort „Arbeiten 4.0“ die „bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ verkündet, aber mit der Forderung nach „Flexibilisierung der Arbeit“ verknüpft. Mittlerweile fordert der Arbeitgeberverband die gesetzliche Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf acht Stunden aufzuheben und durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu ersetzen.
Nun hat das IAB Zahlen veröffentlicht, dass jährlich eine Milliarde Arbeitsstunden nicht mehr erfasst und damit auch nicht bezahlt werden; Grund sind die Arbeiten, die von zu Hause per Handy, email oder Heimcomputer erledigt werden. Daraufhin kündigt die IGMetall jetzt eine Arbeitszeitkampagne an, die die schleichende Verlängerung der Arbeitszeit ohne Erfassung und Bezahlung beenden sowie die arbeitswissenschaftlich festgelegten Erholungs- und Ruhezeiten für Werktage, Wochenenden und Schichtarbeit beibehalten will.

Die Europäische Kommission unterstützt eine wettbewerbsorientierte Lohnpolitik, wie sie gerade auch von den transnationalen IT-Konzernen und europäischen Arbeitgeberverbänden gefordert wird; d.h. Lohntarifverträge sollen nominelle Lohnsteigerungen im Einklang mit der Preisstabilität regeln und qualifikationsbezogene, regionale wie sektorale Differenzen berücksichtigen.
Die meisten Gewerkschaften bekennen sich hingegen zu einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik, die einen Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten verhindert.
Im Gremium des sog. „Makroökonomischen Dialogs“ (Vertreter aus EU-Kommission, EU-Rat, EZB und Sozialpartnern), das die Lohn- mit der Geld- und Fiskalpolitik abstimmt, ist die Gewerkschaftsseite de facto einflusslos.

Der digitale Kapitalismus ändert die Arbeits- und Lebenswelt

Unter den gegebenen Kräfteverhältnissen wird der digitale Wandel die Arbeitswelt mit Industrie 4.0, die Lebenswelt mit Handy, Internet und Smartphone ändern. Handykommunikation und Internetleistungen werden uns zu kontrollierten Konsumenten machen; Smartphone und Apps werden zu Organisationsmaschinen unseres Alltags.

Noch steht das Wirtschaftsmodell der „sharing economy“ in der Kritik: der Zimmervermittler Airbnb wegen Zweckentfremdung von Wohnraum bei Wohnungsknappheit, der Vermittler privater Taxifahrten Uber wegen Nichtbeachtung gesetzlicher Standards. Airbnb und Uber sparen zudem bei den Scheinselbständigen an Lohnnebenkosten und Sozialabgaben; Vorsorge für Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit wird dem Staat, also den Steuerzahlern überlassen. Da dieses „kollaborative Geschäftsmodell“ zu Wettbewerbsverzerrungen führt, haben mehrere EU-Mitgliedsstaaten korrigierende Regulierungen gefordert und ergriffen.
Jetzt will die EU stärker bei der Digitalisierung mitreden; mit der „Europäischen Agenda für kollaborative Wirtschaft“ will die Eu-Kommission nationale und regionale Regulierungsansätze, die zur Eindämmung der sharing Economy führen, bremsen.
So wie die EU-Kommission mit CETA, TTIP und TISA das potentielle Schleifen von Sozialstandards bei Arbeitenden und Konsumenten in Kauf nimmt, so in der sharing Economy Gefährdungen im Wohnbereich und in der Personenbeförderung.

Ein neuer Daten-Mißbrauch in der Digitalisierung der Lebenswelt bahnt sich mit dem Handy-/Smartphone-Bezahldienst der Hightechgiganten an.
Apple, Google und Samsung konkurrieren mit dem weltgrößten Einzelhändler Wal Mart und mit den deutschen Banken und Sparkassen um die Kaufkraft der Kunden und Konsumenten. Dieser digitale technische Fortschritt wird nicht nur die Finanzbranche umkrempeln und das Zahlen mit Bargeld beenden, er beinhaltet auch die komplette Entfesselung der Ökonomie (Hartmut Rosa).
In seinem Essay „Hyperkapitalismus und Digitalisierung – Die Totalausbeutung des Menschen“ schreibt der Philosoph und Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han:
„Customer-Lifetime-Value bezeichnet den Wert, den ein Mensch während seines gesamten Kundenlebens für ein Unternehmen darstellt. Diesem Begriff liegt die Intention zugrunde, die ganze menschliche Person, ihr gesamtes Leben in rein kommerzielle Werte umzuwandeln. Der heutige Hyperkapitalismus löst die menschliche Existenz gänzlich in ein Netz kommerzieller Beziehungen auf. Es gibt heute keinen Lebensbereich mehr, der sich der kommerziellen Verwertung entzöge. Gerade die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft erleichtert, erweitert und beschleunigt in erheblichem Maße die kommerzielle Ausbeutung des menschlichen Lebens“ (SZ, 30.06.2016).

Wie kann ein Selbstreflexions- und Umdenkungsprozess initiiert werden?

Neoliberale Ideologie und Politik sowie digitale Heilsversprechen haben Kritikwillen und -fähigkeit in allen Institutionen von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft verdrängt. Die Logik des Marktes und des Kapitals beherrscht die Köpfe, der gesellschaftliche Mensch ist auf den privaten „homo oeconomicus“ reduziert. Die zwischenmenschliche Kommunikation ist durch technische Automatismen ersetzt, das Vertrauen in demokratische Wahlentscheidungen geschwächt.
Individuelles Umdenken ist notwendig; aber um die gegenwärtige Misere in Gesellschaft und Demokratie zu erfassen, braucht es einen Umdenkungsprozess vieler arbeitender BürgerInnen. „Für diesen kollektiven Selbstreflexionsprozess müsste man aber strukturell Räume her- und bereitstellen, die sich nicht nur auf neue Formen des Wohnens oder Konsumierens, sondern eben auch auf neue Formen der Politik beziehen“ (Stephan Lessenich).

Nach dem Brexit fordern die Politikerin Gesine Schwan und der Politologe Claus Leggewie eine Reform der EU, und zwar eine neue Machtbalance zwischen der kommunalen und regionalen sowie der EU-Ebene. Gedacht ist an die „Beteiligung von Bürgern“ als „Vierte Gewalt“; diese Demokratisierung soll auf der kommunalen Ebene ansetzen. Die Kritik von Schwan und Leggewie sieht die EU als Verursacherin der neoliberalen Wende und des Abbaus des Sozialstaats zugunsten des Wettbewerbsstaats. Eine Schlüsselrolle hatten und haben die demokratisch nicht legitimierten EU-Kommissare und die Euro-Gruppe, die kein offizielles Gremium der EU ist.
Dieser politische Demokratisierungsansatz, der die Beteiligung der Kommunen fordert, ist auch ein Indiz für die sich entwickelnde ökonomische Relevanz urbaner Räume (David Harvey). Die geforderte Beteiligung der Kommunen an politischen Entscheidungsprozessen kann der angestrebten Arbeitermitbestimmung bei der digitalen Gestaltung in Unternehmen und Wirtschaft neuen Schwung geben und den Druck auf Politik, Wissenschaft und Medien nach kritischer Aufklärung und nach Umdenken befördern.

Mainstream-Ökonomen und -Technologen, aber auch Arbeitswissenschaftler und Industriesoziologen sind bislang mehrheitlich unfähig oder unwillig, die gesellschaftliche Dimension des digitalen Wandels zu erfassen. Hartmut Rosa empfiehlt zu Recht eine „Soziologie guten Lebens“, die ein interdisziplinäres Bündnis von Arbeits-, Lebens- und Gesellschaftswissenschaften voraussetzt.
Solch ein Bündnis kann den einzelnen Wissenschaftler auch vor Diffamierungen schützen, die Medien willfährig verbreiten: „Über weltanschauliche Lager hinweg beschwören die apokalyptischen Reiter einen medientechnologischen Totalitarismus, den Würgegriff mächtiger 'Datenkraken´, der mit der Demokratie auch die Selbstbestimmung des Einzelnen ersticke und seine Seele vergifte. ... Die Aufrufe zum Widerstand verraten mehr über die inneren Dämonen der Autoren als über die Computerwelt, die sie dämonisieren, zumal im Unterton ein globalisierungskritischer, antikapitalistisch-antiamerikanischer, gelegentlich auch deutschtümelnder Affekt herauszuhören ist“ (Martin Altmeyer, Aufmerksamkeit, bitte, in Der Spiegel, 22/2016, 28.05.2016).

Die Gestaltung der digitalen Transformation erfordert das Bündnis aller Akteure in Arbeits- und Lebenswelt für eine Offensive „Gute Arbeit und gutes Leben“

Dass die Industriegewerkschaften mit den Arbeitgebern ein Bündnis „Zukunft der Industrie“, aber mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kein Bündnis „Gute Arbeit in Industrie und Dienstleistung“ geschlossen haben, macht diese traditionellen Akteure der Arbeitswelt nicht stärker im Bemühen um Mitgestaltung des digitalen Wandels.
Gegenüber den wachsenden sozialen und demokratischen Übergriffen der Politik, insbesondere der EU-Kommission, haben Bürgerinitiativen, NGOs und Kommunen ihren kollektiven Widerstand gezeigt. Die Streiks in den städtischen Kindergärten sowie der Protest gegen Wohnungsnot, Mietpreiserhöhung, Gentrifizierung ganzer Stadtquartiere, gegen Atom- und Kohleverstromung, Fracking und Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung haben die Bürger und Kommunen zu neuen Unruheherden und damit zu wichtigen Bündnispartnern der Arbeiterorganisationen gemacht.
Die Zusammenarbeit und der gemeinsame Einsatz von Arbeitenden und Bürgern bei der politischen und ökonomischen Gestaltung der digitalen Gesellschaft wird bei vielen Menschen die Erfahrung bringen, dass eine wirklich demokratische Gesellschaft mit der Kapitallogik nicht vereinbar ist.
Literatur

Niels Boeing, Von Wegen - Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft, Hmb 2015:
„Die freie Stadt der Zukunft wird nicht zuerst aus der Wut auf die Mächtigen entstehen, sondern aus einer heiter-entschlossenen Selbstermächtigung ihrer Bewohner, die begriffen haben, dass sie ein Ziel eint: ein gutes Leben für alle. Das gute Leben ist, wenn alle Menschen an der Stadt teilhaben.“

Peter Brödner, Industrie 4.0 und Big Data - Zwischen Hype und Horror auf dem Weg in eine bessere Welt?, pad-Verlag 2016

Byung-Chul Han, Hyperkapitalismus und Digitalisierung - Die Totalausbeutung des Menschen, SZ 30.06.2016

Robert Castel/Klaus Dörre (Hg), Prekarität, Abstieg und Ausgrenzung, Ffm/NewYork 2009:
„Weitet sich die Prekarisierung der Beschäftigung auf den gesamten Lebenszusammenhang und damit auch auf Freundschafts-, Familien- und Paarbeziehungen aus?“

David Harvey, Rebellische Städte - Vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution,,Ffm 2013:
„Der antikapitalistische Kampf muss aus den Fabriken hinaus in die Stadt getragen werden. Städte sind nicht nur Wohn- und Arbeitsorte, sondern auch politische Orte.“

Paul Mason, Postkapitalismus - Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Ffm 2016:
„Ich würde mehr Distanz zur EU begrüßen, auch wenn ich nicht für einen Austritt stimmen werde. Einfach, weil die EU zentrale Werte Europas zerstört hat. Im Grunde steht sie für den Neoliberalismus, ... der nicht nur zur Stagnation der Wirtschaft geführt, sondern auch Menschen und Staaten ins Unglück gestürzt hat“ (FR, 18./19.06.2016)

Hartmut Rosa/Stephan Lessenich, Weil Kapitalismus sich ändern muss, Im Gespräch mit Rosa und Lessenich, springer fachmedien, Wiesbaden 2104

Werner Seppmann, Herrschaftsmaschine oder Emanzipationsautomat? Über Gesellschaft und Computer, pad-Verlag 2016:
„Dem praktischen Handeln muss jedoch eine 'Umwälzung der Denkungsart´ vorangehen und dabei in Rechnung gestellt werden, dass die dem Computer implantierte Rationalität, die mit der ökonomischen Verwertungsrationalität im Kapitalismus korrespondiert, ein Gegensatzprinzip zu elementaren menschlichen Lebensinteressen und den Erfordernissen solidarischer Vergesellschaftung darstellt“.

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