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Die Prävention psychischer Erkrankungen verlangt auch einen Public Health Ansatz

Der AOK Fehlzeiten-Report 2017 “Krise und Gesundheit – Ursachen, Prävention, Bewältigung“ zeigte deutlich die Grenzen rein betrieblich ausgerichteter Gesundheits – und Präventionspolitik auf. Viele psychische Belastungen ergeben sich aus der Lebenswelt der Betroffenen und nicht allein aus der Arbeitswelt. Arbeitswelt und Lebenswelt stehen in enger Wechselbeziehungen, so daß in der Praxis eine Ursachenisolierung oft kaum möglich ist.

Soziale Ungleichheit als ein wichtiger Faktor für psychische Belastungen führt auch zur Ungleichverteilung von Gesundheit und Krankheit. Niedrige Berufsgruppen haben häufiger gesundheitsgefährdende Arbeitsbelastungen. Niedrige Einkommen führen oft zu ernährungsbedingten Störungen und fehlenden Ausgleichsmaßnahmen. Auch Arbeitslosigkeit erhöht generell die Gesundheitsbelastungen und speziell psychische Belastungen signifikant.

Ein Faktor von zunehmender Bedeutung ist die schnell fortschreitende Digitalisierung. Sie ist mit erheblichen vor allem psychischen Belastungen durch Umstrukturierung, Veränderung von Arbeitsprozessen und Arbeitsbedingungen, Arbeitsverdichtung und – intensivierung verbunden. Mehr und mehr greift auch der Freisetzungseffekt durch Umstrukturierung und Rationalisierung. Nicht nur der Verlust des Arbeitsplatzes führt hier zu Belastungen, sondern auch der Qualifizierungs – und Anpassungsbedarf an gänzlich neue Tätigkeiten. Insbesondere für ältere Arbeitnehmer entstehen damit hohe psychische Belastungen bis hin zu Lebenskrisen.

Die deutliche Zunahme gesundheitlich – psychische Belastungen wie Burnout und Depression ist ein deutliches Symptom“ kranker“ Betriebsstrukturen, eines von Konflikt und Konkurrenz geprägten Betriebsklimas –Mobbing ist hier ein deutliches Symptom –, fehlerhafter Führungsstrukturen und fehlender Wertorientierung des Unternehmens.

Viele der Belastungsfaktoren resultieren indirekt aus dem Arbeitsleben. Flexible Arbeitszeiten führen oft zu Überlastung, weil anspruchsvolle Zielvorgaben zu erfüllen sind, die zu Nacharbeit in der „Freizeit“ führen. Da aber auch familiäre und persönliche Aufgaben zu erfüllen sind, von der Kindererziehung bis zur Altenpflege, entsteht eine Überbelastung, die zu psychischen aber in der Folge auch zu physischen Erkrankungen führt. Doppelte Berufstätigkeit von Partnern, Belastungen durch unzureichende Versorgung der Kinder in Kita und Schule erhöhen zusätzlich die Stressbelastung bis hin zu persönlichen Krisen. Es gibt in der heutigen Arbeits – und Lebenswelt auch kaum mehr die soziale Unterstützung durch die Familie, weil beide Ehepartner berufstätig sind und Verwandte in der Regel nicht verfügbar. Das „outsourcing“ von Familienfunktionen hauptsächlich in den öffentlichen Bereich hat bisher psychische Belastungen eher erhöht.

Die geforderte Flexibilität der Arbeitskräfte nicht nur bezüglich der Arbeitszeit sondern vor allem auch des Arbeitsortes ist ein weiterer Stressfaktor, der außerhalb des Betriebes entsteht und der durch betriebliche Maßnahmen kaum vermindert werden kann. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-und Raumforschung müssen immer mehr Menschen immer längere Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen. Betrug die durchschnittliche Pendel Entfernung 1999 noch 14,59 km waren es 2016 bereits 16,91 km. 18,4 Millionen Menschen in Deutschland sind Pendler; 59,4 % aller Beschäftigten müssen vom Wohnort zur Arbeit in eine andere Gemeinde fahren, ein Anstieg von 2 % in 2017 gegenüber 2015. Staus auf den Straßen und Verspätungen bei öffentlichen Verkehrsmitteln führen zu erheblichen psychischen Belastungen, die das bereits vorhandene hohe Belastungsniveau noch zusätzlich erhöhen.

Im deutschen dualen Arbeitsschutzsystem haben staatliche Arbeitsschutzbehörden gemeinsam mit Berufsgenossenschaften als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung eine gesetzliche normierte Kooperationsform gefunden. Sie legen in der „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (G DA)“ nationale Ziele fest. Es gibt hier jedoch bisher keinen Bezug zu Public – Health - Initiativen, obwohl Betriebe in vielfältiger Weise in wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen eingebettet sind. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Behandlung von Lage und Dauer der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und auch angesichts z.B. von außerbetrieblichen Verpflichtungen der Kinderbetreuung. Die aufgezeigten Wechselwirkungen von gesundheitlichen und insbesondere psychischen Belastungen im Arbeitsleben und den Belastungen aus der Lebenswelt zeigen deutlich, dass präventive Maßnahmen im Gesundheitsbereich generell und speziell bei psychischen Belastungen nicht nur auf das einzelne Individuum bezogen werden dürfen. Von wachsender Bedeutung sind hier die Bedingungen und Belastungsfaktoren in der Lebenswelt der Betroffenen. Ansätze zur Messung psychischer Belastungen im Arbeitsleben bedürfen deshalb dringend eine Erweiterung durch die Erfassung von Belastungen außerhalb des Arbeitslebens und ihre Integration in eine ganzheitliche Belastungsmessung.

Angesichts der desruptiven Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft müssen Gefährdungsbeurteilung und Prävention zu einem umfassenden Public Health Ansatz ausgebaut werden. Eine menschengerechte, humane Gestaltung des Arbeitslebens ist eine der wichtigsten präventiven Maßnahmen zur Reduktion der Gesundheitsgefährdung. Dazu zählt

  • eine wertorientierte Unternehmensführung;
  • Gestaltung von Zusammenarbeit und Teamarbeit;
  • partizipative Entscheidung-und Managementstrukturen;
  • Investitionen in das „Humankapital“, wie z. B. frühzeitige Qualifizierungsmaßnahmen, Stärkung der Stress-Resilienz.

Ein Public Health Ansatz umfasst aber auch die gesellschaftlichen Bereiche. Ein solcher verbindende Ansatz muss sich vor allem auf folgende Bereiche konzentrieren.

  • Abbau der sozialen Ungleichheit generell ,vor allem auch der Ungleichheit im Gesundheitsbereich durch gezielte Beratung und Hilfeleistungen;
  • ein Programm zum Ausbau partizipativer Strukturen in der Unternehmensführung, Arbeitsgestaltung und Gesundheitskompetenz u.a. durch Förderung von Pilotprojekten.
  • Umsteuerung in Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit, verbunden mit einer Entschleunigung und damit auch eine Reduktion von Belastungen.
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