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Peter Brödner

28.11.2014

Industrie 4.0 oder die beste aller Welten

Große Visionen künftiger Produktion beherrschen derzeit wieder die deutsche Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Das belegen das gerade verkündete BMBF-Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ als Baustein einer „High-Tech Strategie“ und unzählige Medienberichte über Industrie 4.0. Ziel ist die ressourceneffiziente Modernisierung der Industrie als einer tragenden Säule der Wirtschaft durch „digitale Verfeinerung der Produktionstechnik“. Produktionsprozesse sollen „anpassungsfähig und dynamisch“ gestaltet werden mittels weltweit vernetzter „Cyber-physische Systeme (CPS)“ aus ,intelligenten‘ Maschinen, Werkstücken, Lagersystemen und Betriebsmitteln, die selbsttätig, in „dezentraler Selbstorganisation“, Daten austauschen und wechselseitig Aktionen auslösen.

Dazu sollen „autonome Software-Agenten“ miteinander interagieren, um durch koordinierte Aktionen gestellte Aufgaben gemeinsam zu erledigen (sog. ,Multiagentensysteme‘, auch: ,verteilte künstliche Intelligenz‘). Gerne wird dabei auf spektakuläre, aber aufwendige und eng spezialisierte Computerleistungen wie Googles selbstfahrendes Auto oder den Ratespiel-Gewinner Watson von IBM verwiesen. Abgesehen vom verschwiegenen riesigen Entwicklungsaufwand wird aber grundsätzlich übersehen, dass Software-Agenten nichts anderes tun als durch Algorithmen berechenbare Funktionen auszuführen. Mithin kann ihnen zielorientiertes, kooperatives Verhalten nur durch Programme – mittels Nutzenfunktionen, Lernverfahren, Verhaltensrepertoires und geteilten ,Ontologien‘ – vorgeschrieben werden. Gleichwohl wird die maschinelle Welt der Daten und Funktionen unzulässigerweise mit der sozialen Welt von Bedeutungen, Intentionalität und Reflexion gleichgesetzt. Programmiertes automatisches Verhalten von Maschinen unterscheidet sich aber grundlegend von intentionalem, autonomem Handeln von Menschen.

Das erinnert doch sehr an den technikeuphorischen Überschwang der 1980er Jahre, als mit CIM (Computer-Integrated Manufacturing) in Gestalt daten- und funktionsintegrierter, sog. ,wissensbasierter Systeme‘ die Vision der flexibel automatisierten, menschenleeren Fabrik zu realisieren versucht wurde – ein freilich kläglich gescheitertes Unterfangen. Soviel scheint man immerhin gelernt zu haben: Ganz auf den Menschen verzichten will man künftig nicht. Allerdings bleibt in den Visionen von Industrie 4.0 gänzlich unreflektiert und unklar, wie es Menschen eigentlich gelingen soll, mit zwar deterministisch, aber geschichtsabhängig operierenden, daher analytisch nicht bestimmbaren und undurchschaubaren Multiagentensystemen produktiv zusammenzuwirken?

Das führt direkt zu einer zentralen Weichenstellung: Statt immer wieder neu zu versuchen, menschliche Fähigkeiten durch Systeme ,künstlicher Intelligenz‘ nachzuahmen und zu ersetzen (AI-Perspektive: ,artificial intelligence‘), erweist es sich ebenso oft als weit erfolgreicher, technische Artefakte so zu entwickeln, dass sie als gebrauchstauglich gestaltete Arbeitsmittel das menschliche Arbeitsvermögen erweitern und produktiver machen (IA-Perspektive: ,intelligence amplification‘). Eben dies lehrt die bisherige Geschichte vorherrschender Entwicklung und überwiegenden Gebrauchs von Computersystemen in Produktion und Dienstleistungen. Mit Blick auf das neue Programm bleibt daher zu wünschen, dass sich genügend kompetente Akteure finden, es der zweiten Perspektive folgend zu verwirklichen.

Weitere Einzelheiten und Hinweise finden sich auf den Folien zum Vortrag:

Industrie 4.0 und Big Data. Kritische Reflexion forschungspolitischer Visionen.

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