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Kolumne Klaus Zühlke-Robinet

Schon seit es mit der Verabschiedung des Berufsausbildungsgesetztes 1969 eine moderne duale Berufsausbildung gibt, ist sie so erfolgreich wie umstritten. Erfolgreich, da sie eine wesentliche Basis der nahezu immerwährenden Wettbewerbsfähigkeit der deutschen (exportorientierten) produzierenden Wirtschaft. Von unternehmerischer Seite wird dies immer wieder gerne in vielen Reden hervorgehoben, doch ist nicht zu übersehen, dass die „Ausbildungsmüdigkeit“ der Betriebe zunimmt. Immer weniger Unternehmen bilden aus, verlassen sich auf die Ausbildungsleistung anderer Betriebe und/oder stellen akademisch Ausgebildete ein – ihre Ausbildungskosten trägt die Gemeinschaft.

Spiegelbildlich dazu verhält sich die Debatte in akademischen Kreisen. Schon seit langem wird die These der „Erosion der Facharbeit“ dafür bemüht, dass das duale Ausbildungssystem nicht (mehr) in der Lage ist, Arbeitskräfte prozessorientiert auszubilden und überhaupt nimmt der Wissensbezug in Unternehmen so stark zu, dass eine (weitere) Akademisierung unbedingt erforderlich ist. Nicht im Betrieb soll gelernt und ausgebildet werden, sondern vornehmlich in Hochschulen (nur nebenbei: ein Bachelorstudium dauert 3 Jahre, die Lehre zum Facharbeiter oder -angestellten mitunter sogar 3,5 Jahre).

Diesen „Richtungsstreit“ aufnehmend untersuchten Sabine Pfeiffer u.a. die Leistungsfähigkeit des Systems „Betrieb“ als Ausbildungs- und Lernort und gewissermaßen die schlummernden Potenziale der dualen Ausbildung, die noch zu heben sind. Das System Betrieb ist durchaus im Stande, „organisationales Arbeitsvermögen“ zu entwickeln und auszubilden. Dieses Vermögen des Humankapital (Vermögen durchaus im doppelten Sinne) ist für Beschäftigte wie Unternehmen „Gold“ wert, denn es ist die Voraussetzung, die Herausforderungen der Arbeit selbstbewusst, souverän und mit der notwendigen Portion Gelassenheit – die notwendig ist, um sich nicht von der Arbeit „auffressen“ zu lassen - meistern zu können. Zu den eindrücklichsten Erkenntnissen der Studie zählen folgende Passagen:

„Der Betrieb ist der Rahmen, der eigentliche „Lehrmeister“ aber ist die Arbeit selbst und deren Erleben als kollektives Tun:

  • Arbeit als Verwirklichung des Menschen in der Welt,
  • Arbeit als Modus von Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung,
  • Arbeit aber auch als verwertete und vernetzte Ware.

Dieses Widersprüchliche erlebbar und erfahrbar zu halten: Das leistet der Betrieb. Deswegen ist er nicht nur Lernort, sondern auch eine – wenn nicht die – zentrale Integrationsinstanz unserer Gesellschaft. Auch wenn er sich verändert: Möglichkeiten des gemeinsamen Erlebens von Arbeit gilt es zu erhalten für möglichst viele. Sonst entgleitet uns nicht nur der Betrieb als Lernort, sondern auch unsere Gesellschaften.“ (S. 178)

Allerdings sieht sie den Betrieb von zwei Seiten unter Druck: Die oben angesprochene Tendenz, dass zum einen Unternehmen selbst das duale System nicht mehr schätzen und zum anderen gerade die Digitalisierungsjünger die zukünftige Arbeitswelt so darstellen, als ob Produktion und Kranken- und Altenpflege vom häuslichen Sofa zu steuern sei. Dies ist noch keine Realität, doch „Es wird an ihnen gebastelt – weil sich Verwertung so scheinbar noch besser managen lässt, aber auch weil die ökonomisch „lästige“ Seite des Betriebs abnimmt: ohne Betrieb kein Betriebsrat. Ohne Betrieb keine teuren Büroflächen. Ohne Betrieb keine Arbeitsschutzauflagen.“ (S. 177).

Die „Qualität“ des Systems Betrieb ist ist in hohem Maße eine Frage der Arbeitsgestaltung: „Wie gut der Lernort Betrieb funktioniert, ist daher auch eine Frage von Arbeitsgestaltung und Organisationsform, von Mitbestimmung und Unternehmenskultur. Ganzheitliche und breite Aufgabenzuschnitte, Autonomie und Handlungsspielräume, Vertrauenskultur und verlässliche Mitsprachemöglichkeiten – das alles macht nicht nur die Arbeit besser, sondern auch den Arbeitsplatz zu einem guten Platz für Lernen und Weiterentwicklung.“ (S. 176)

Den Beruf sehen sie durchaus als vitales Konstrukt: „Es geht nicht um weniger, sondern um „mehr“ Beruf und eine moderne Form der Beruflichkeit. Diese muss auf eine entfaltungsförderliche, angemessene, offene und vorausschauende Arbeitsgestaltung vorbereiten, ebenso auf erweiterte Möglichkeiten, soziale Identität über die Arbeit herzustellen, und auf die Fähigkeit, sich an demokratischer Mitbestimmung in Staat und Gesellschaft zu beteiligen (Wissenschaftlicher Beraterkreis 2014). Berufliche Bildung in diesem Sinne ist die Grundlage für gute Arbeit und für gesellschaftliche Teilhabe.“ (S. 182)

Die Schlusssätze lauten:

„Wer heute Arbeit gestaltet, gestaltet auch den Lernort Betrieb und damit die Chancen zur Ausbildung von organisationalem Arbeitsvermögen der Beschäftigten von morgen mit. Gerade in der aktuellen Diskussion um die Arbeitswelt 4.0 und die Vielfalt neuer Gestaltungsoptionen der Digitalisierung ist dies möglicherweise die wichtigste Schlussfolgerung unserer Studie für die Praxis.“ (S. 183)

Mit der Studie wird überdeutlich, welche Potenziale im Betrieb stecken, doch sollen die Gemeinwohleffekte der dualen beruflichen Ausbildung der Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin zur Verfügung stehen, dann ist sicherlich das sie tragende institutionelle System (wieder) zu stärken bzw. zu modernisieren. Zum Beispiel wären Ausbildungsumlagesysteme ein Weg, ein Teil der betrieblichen Kosten der Berufsausbildung auf alle Betriebe zu verteilen. Damit würde auch deutlich, dass betriebliche Ausbildung eine wirtschaftliche Gemeinschaftaufgabe ist, da ja alle Unternehmen davon profitieren. Jüngstes Beispiel dafür, dass damit die Zahl der Ausbildungsplätze gesteigert werden kann, ist die erst vor wenigen Jahren eingeführte Finanzierungsumlage für die Alten-Pflegeberufe in NRW.

Wie kann es gelingen, dass die Wirtschaft ihrer immer wieder reklamierten Selbstverantwortung für die betriebliche Ausbildung tatsächlich (wieder) nachkommt und wie die „Krise der Selbstverpflichtung“ der Unternehmen und ihrer Verbände (Gerhard Bosch, ifo Schnelldienst 6/2004) gemeistert werden kann. Die Stärke der dualen Berufsausbildung, ihre direkte Anbindung an Betriebe ist die „Achillesferse“ des Systems. Berufsbildungsforschung muss durch Berufsbildungs-Politikforschung ergänzt werden, damit es zu Gestaltungsvorschlägen für die institutionelle Seite des dualen Berufsausbildungssystems kommen kann.

Sabine Pfeiffer, Tobias Ritter, Petra Schütt und Corinna Hillebrand-Brem: BETRIEB LERNEN. Die Bedeutung dualer Berufsausbildung und organisationalen Arbeitsvermögens. Band 366 der Reihe Study der Hans-Böckler-Stiftung. August 2017

https://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_366.pdf

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