DEBBI

Diskontinuierliche Erwerbsbiografien als betriebliche Innovationschance (DEBBI)

 

Projektkoordinator:  Dr. Rüdiger Klatt (Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention e.V. – FIAP)
Laufzeit: 01.11.2011 - 30.04.2015

 

1. Problemstellung

Der demografische Wandel führt dazu, dass sich das Durchschnittsalter in den deutschen Unternehmen in den nächsten Jahren erheblich erhöhen und die mitarbeiterstärksten Alterskohorten in den Bereich zwischen 45 und 60 Jahren verschieben werden. Waren es früher die jüngeren Beschäftigten, von denen Innovationsimpulse ausgingen (vergleichez. B. die Entwicklung des IT-Bereichs), weil sie neue technologische Entwicklungen aufnahmen und in Produktideen umsetzten, so werden es in Zukunft die mittleren und höheren Altersgruppen sein müssen, die diese Aufgabe übernehmen. Kreativität und Innovation werden damit eine „Altersaufgabe“.

In der Konsequenz werden die heutigen Innovationsträger auch morgen noch eine zentrale Rolle im betrieblichen Innovationsgeschehen spielen – nicht nur müssen, sondern auch können. Je (innovations-) erfahrener die Beschäftigten sind, umso wichtiger werden sie in Innovations­prozessen sein. Allerdings sprechen einige Hürden bislang gegen eine systematische Nutzung dieser Innovationskompetenzen.

Eine für das Innovationsgeschehen besonders wichtige Gruppe der älteren Beschäftigten sind diejenigen mit nichtlinearen Karrieren. Sowohl hinsichtlich der Innovationserfahrungen als auch hinsichtlich der allgemeinen beruflichen Erfahrungen sind viele diskontinuierlich Beschäftigte im Vorteil gegenüber Personen mit langer Betriebszugehörigkeit. Sie tragen daher große Inno­vationspotenziale, sind jedoch in besonderem Maße auch bedroht, ins Prekariat abzusteigen.

Die zentrale Hypothese des Projektes ist, dass die Gestaltung der Erwerbsbiografie, insbesondere dabei die Nutzung der Innovationspotenziale der Diskontinuitäten, die entscheidende Einfluss­größe darstellt für Erfolg oder Scheitern, Selbstbestimmung oder Prekariat, Gesundheit oder Burnout.Solche erfolgreich gestalteten, innovationsorientierten diskontinuierlichen Erwerbs­verläufe dienen dabei nicht nur der individuellen Entwicklung, sondern bieten auch Chancen für den beschäftigenden Betrieb und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im demografischen Wandel.

 

2. Lösungsweg

Gesamtziel des Verbundprojektes ist es, am Beispiel der IT-Branche und ihrer zunehmend auch in anderen Branchen diffundierenden, durch Diskontinuitäten geprägten Arbeits- und Innovations­bedingungen sowie Beschäftigungsformen die individuellen, betrieblichen und gesellschaftlichen Faktoren für den Erfolg und für das Scheitern von innovativen Älteren zu untersuchen und auf der Basis der Ergebnisse neu zu gestalten.

Die Untersuchung erfolgt im Rahmen eines interdisziplinären Verbundes aus Sozialpsychologen, Sozial- und Arbeitswissenschaftlern, Unternehmensberatern und der Unternehmenspraxis. Sie wird im Rahmen eines Vergleiches von IT-Beschäftigten in Abhängigkeit von ihrem Alter, Erwerbsstatus sowie ihres Prekaritäts- und Diskontinuitätsgrads mit Hilfe von qualitativen und quantitativen Erhebungen in zwei wissenschaftlichen Teilprojekten durchgeführt. Auf der Basis des am Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP Gelsenkirchen) entwickelten Vorgehensmodells systemisch orientierter Interventionsforschung werden die Ergebnisse im Rahmen eines Praxisprojektes unmittelbar und mitlaufend in einem dialogischen Prozess in die unternehmerische Praxis zur Entwicklung innovativer Prozesse und Gestaltungs­instrumente eingebettet, die auf die stärkere Nutzung des Innovationspotenzials diskontinuierlich Beschäftigter abzielen.

Ziel ist es, betrieblich tragfähige Modelle und Konzepte zur Gestaltung und zur Unterstützung der Unternehmen und der diskontinuierlich Beschäftigten zu entwickeln, so dass deren Inno­vationskraft betrieblich genutzt und Karrieren erfolgreich entwickelt werden. Die zentralen Ziele des Projektes sind:

  1. tatsächliche sowie ungenutzte Innovationspotenziale älterer diskontinuierlich Beschäftigter und die fördernden und hemmenden betrieblichen Bedingungen für ihre Nutzung – besonders auch mit Blick auf die Gruppe der eher prekär Beschäftigten – und im Vergleich zu anderen Beschäf­tigtengruppen zu ermitteln.
  2. die systematische Nutzung der Innovationsressourcen der älteren diskontinuierlich Beschäf­tigten für die betriebliche Innovationspraxis zu instrumentieren und in den beteiligten Unter­nehmen zu erproben. In Frage steht dabei auch, ob sich dadurch insgesamt das vorhandene Innovationsregime in der IT-Branche nicht neu auf Diskontinuitätserfahrung und innovative Ältere ausrichten muss.
  3. die Wertschätzung für innovative Ältere systematisch zu erhöhen.
  4. das Abgleiten der älteren diskontinuierlich Beschäftigten in Prekariat und Erwerbslosigkeit zu verhindern.

Hauptuntersuchungs- und Gestaltungsfeld ist Deutschland. Zusätzlich sollen in drei europäischen Nachbarländern Erhebungen zu den individuellen Innovationspotenzialen diskontinuierlich Beschäftigter und zu betrieblichen Konzepten von IT-Unternehmen zur Nutzung des Innovations­potenzials älterer diskontinuierlich Beschäftigter durchgeführt werden, auch um den Umgang mit transnationalen und transkulturellen Innovationspotenzialen älterer ‚Jobnomaden’ im Vergleich zu Deutschland zu untersuchen. Die genannten Nachbarländer haben eine ähnliche demografische Ausgangslage wie Deutschland.

Im Rahmen des Verbundprojektes werden unter Einbeziehung von Unternehmen und Beschäftigen auf der Basis eines Vorgehensmodells systemischer Interventionsforschung die Inno­vationspotenziale älterer Beschäftigter in der IT-Branche mit diskontinuierlichen Erwerbsverläufen sichtbar und systematisch nutzbar gemacht werden. Dazu werden die förderlichen und hemmenden Rahmenbedingungen in der IT-Branche in Abhängigkeit vom Alter und vom Erwerbsverlauf der Beschäftigten umfassend multidisziplinär untersucht – und zwar in einem arbeitssoziologischen, einem sozialpsychologischen und in einem umsetzungsbezogenen Teilprojekt. Darauf aufbauend werden demografieorientierte Modelle der Organisationsgestaltung, Konzepte der Personalentwicklung und webbasierte Verfahren zur Ermittlung von Innovations­potenzialen erarbeitet und praktisch erprobt, die die innovationsförderliche Gestaltung von diskontinuierlichen Erwerbsverläufen besonders hinsichtlich der Potenziale älterer Beschäftigter nachhaltig ermöglichen.

 

3. Stand/ Ergebnisse

Die Erhebungen des Projektes wurden 2013 abgeschlossen. In Deutschland wurden 20 Intensiv­fallstudien durchgeführt und ausgewertet. Darüber hinaus wurden zahlreiche Expertengespräche geführt, die die Arbeit im Projekt nachhaltig vorangetrieben haben. In Frankreich wurden 3 Inten­sivfallstudien und 5 Expertengespräche durchgeführt und ausgewertet. Die Forschungskooperation mit Frankreich wurde im Jahr 2013 verstetigt.

Darüber hinaus wurde eine quantitative Erhebung im Rahmen einer Telefonbefragung durchgeführt. Ziel war es, die Stereotypenbildung der älteren und jüngeren Beschäftigten zu Innovationsbeteiligungen der Generationen im repräsentativen Querschnitt der bundesdeutschen Bevölkerung zu untersuchen. Befragt wurden 1.000 Bürger ab 18 Jahren zu den Kompetenz­attribuierungen jüngerer und älterer Mitarbeiter sowie zu den Bedingungen der Verlängerung des Arbeitslebens im demografischen Wandel.

Die Ergebnisse der qualitativen Erhebungen sind vielfältig publiziert (siehe Literaturliste), die Publikation der quantitativen Erhebung befindet sich in Vorbereitung.

Auf der Basis der Forschungsergebnisse wurden im Jahr 2013 als gemeinsames Produkt aller Teilprojekte der „Begehbare Werkzeugkoffer“ konzipiert. Dieser Präsentationsraum integriert als Modell der Darstellung, des Coachings und der Schulung die in den Teilprojekten erarbeiteten praxistauglichen Instrumente zur Unterstützung diskontinuierlich Beschäftigter und älterer Mitarbeiter sowie der Betriebe bei der Identifikation und Nutzung der individuellen Innovations­potenziale.

Der begehbare Werkzeugkoffer dient dazu, Personen mit diskontinuierlichen Erwerbsbiografien bei der weiteren Planung/Ausgestaltung der Karriere optimal zu unterstützen. Der Raum unterstützt dabei die strategische vorausplanende Personalpolitik, indem die Bandbreite der Kompetenz und die damit verbundenen Chancen sichtbar gemacht und gezielt entwickelt werden können.

Es handelt sich um einen real begehbaren Raum: Jede der vier Wände eröffnet eine andere Perspektive auf das Thema „diskontinuierliche Erwerbsbiografien im demografischen Wandel“. An den vier Wänden im Raum hängen Whiteboards, die die im Projekt DEBBI entwickelten Werkzeuge repräsentieren, mit denen sich die jeweilige Raumperspektive erschließen lässt und Handlungsoptionen auf individueller und organisationaler Ebene sichtbar werden. Je nach Anwendungskontext können alle Perspektiven oder nur ausgewählte in den Blick genommen werden.

Zielgruppe sind Personen mit Personalverantwortung, Personalplaner, Coaches, aber auch Beschäftigte selbst. Auf individueller Ebene kann eine Planung der individuelle Berufsbiografie unter Berücksichtigung von „Lebenszielen“ erfolgen, auf organisationaler Ebene steht ein realer Raum zur Verfügung, der zu verschiedenen Fragen der Personalentwicklung eingesetzt werden kann.

 

Der Raum umfasst vier zentrale Instrumente:

Mit dem internetgestützten Instrument „Profiler“(Toolentwicklung der adesso) wird ein Beschäftigter dabei unterstützt, ein individuelles Kompetenzprofil der eigenen Person (fachliche Skills, Sozialkompetenzen und Erfahrungen) zu entwickeln. Durch Vergleich des individuellen Profil mit der unternehmensinternen Kompetenznachfrage kann der Beschäftigte feststellen, ob seine Profil noch marktfähig ist und in welchen Bereichen er defizitäre oder „vorauslaufende“ Kompetenzen besitzt.

Die „Plantafel zum Erwerbsbiografie-Management“ (Toolentwicklung der gaus) hilft dabei, berufliche und private Ansprüche zu definieren (Was will ich erreichen?), Lebensereignisse zeitlich günstig zu ordnen (Wann kann ich was machen?) und auf Abhängigkeiten zwischen Ereignissen und Phasen (Was muss ich vorbereiten, um etwas zu erreichen?) zu reagieren.

Die Perspektive des „Reflexionsraums“ (Toolentwicklung des IPP) richtet sich auf die Beschäftigten. Wie gelingt ein erfolgreiches Altern in (diskontinuierlicher) Beschäftigung? Die Erkenntnisse aus der empirischen Phase münden in ein Coachingprojekt, mit dem Ziel, die Dimensionen der „Metakompetenz“ Handlungsbefähigung zu stärken.

Diese drei Werkzeuge können auf der individuellen Ebene nacheinander durchlaufen werden, wobei sich eine Perspektive vom Konkreten (Kompetenzbetrachtung und berufliche Entwicklung – Profiler) zum Allgemeineren ergibt (Planung des Lebens in allen Bereichen – Plantafel). Der „Reflexionsraum“ steht dabei als ständige Möglichkeit zur Verfügung, die Ergebnisse der anderen beiden Instrumente kritisch zu hinterfragen, ob sie dazu beitragen, der Lebensplanung des Beschäftigten eine kohärente „Gestalt“ zu geben. 

Das vierte Instrument, das „Tool zur Entwicklung intergenerationeller Innovationspotenziale und zur Bewältigung von Generationenkonflikten“ (Toolentwicklung des FIAP), ist ein Werkzeug, um im Unternehmen die Verständigung zwischen Personen und Gruppen aus unterschiedlichen Generationen zu verbessern, Vorurteile aufzudecken und Generationenkonflikte zu bewältigen und so zu einer besseren Innovationskultur beizutragen. Da es sich schwerpunktmäßig an Gruppen und weniger an Einzelpersonen richtet, ergänzt es den Instrumentenraum um die intergruppale Perspektive.

Das Konzept wurde auf der Abschlusstagung des Projektes am 5. und 6. Juni 2014 sowie auf der Fokusgruppenkonferenz am 20. und 21. November 2014 vorgestellt.

 

4. Veröffentlichungen zum Vorhaben

Schwerpunktausgaben zum Projekt

  • 3/2012: Neugier, Kreativität, Erfahrung – Innovationsfähigkeit im demografischen Wandel
  • 1/2013: Innovation im Generationendialog: Die demografische Chance
  • 3/2013: Intergenerationelle Balance – Demografische Herausforderungen in der Arbeitswelt Frankreichs und Deutschlands

Beiträge zum Tagungsband „Innovationsfähigkeit im demografischen Wandel“, hrsg. von S. Jeschke (2013), Frankfurt, New York: Campus.

  • Klatt, R. &Ciesinger, K.-G.: Wege zu einem aktiven Erwerbsbiografie-Management in Unternehmen: Praktische Ansätze und internationale Erfahrungen, S. 79-86.
  • Striemer, R. &Carell, A.: Erwerbsbiografie-Management in der Softwareentwicklung – Das Beispiel adesso AG. In: S. Jeschke (Hrsg.), Innovationsfähigkeit im demografischen Wandel, S. 81-82.
  • Wittland, M.: Aktives Karrieremanagement in Pflegeeinrichtungen – Das Beispiel Caritas Pflege & Gesundheit, S. 82-84.
  • Bäckström, B.: Die Bewältigung des demografischen Wandels in Schweden, S. 84-86.

 

Internetadresse

www.projekt-debbi.de

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