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Balance Guard im Gespräch

Mit der BalanceGuard-Projektleitung Emanuel Beerheide und der Projektmitarbeiterin im Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes NRW (LIA.nrw), Jella Heptner, sprach die HdA-online Redaktion, Gerhard Finking und Eckart Hüttemann, über den Stand und die weiteren Entwicklungen des Projektes.

BalanceGuard entwickelt ein Assistenzsystem, das aus unterschiedlichen, sich ergänzenden Elementen besteht: der Software, die den Beschäftigten ein selbstgesteuertes Messen ihrer psychischen Stressfaktoren und Ressourcen ermöglicht, sowie darauf aufbauend die Entwicklung von Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen, Leitlinien zum Einsatz von Tools zum Stressmonitoring und Handlungshilfen für die Beschäftigten und die Betriebe. „Ein zentrales Instrument Ihres Projektes ist der Fragebogen, der arbeitsbezogene und private Stressfaktoren, Ressourcen, die Beanspruchung und Beanspruchungsfolgen messen soll. Wie weit ist dieser Fragebogen bereits entwickelt und getestet und wie gestaltet sich die Auswertung und Nutzung für den einzelnen Mitarbeiter und die Unternehmen?“ fragt Gerhard Finking zum Start des Gesprächs. Jella Heptner erläutert, dass der Ausgangspunkt für den Fragebogen ein umfangreicher Katalog von Variablen zur Messung psychischer Belastungsfaktoren ist. „Die Transformation dieser Variablen in Messgrößen erfolgte, indem wir im ersten Schritt verschiedene Arbeitsanalyseinstrumente auf ihre Anwendbarkeit und Qualität überprüft haben. Wenn Fragen aus diesen Instrumenten für unseren Zweck geeignet erschienen, haben wir sie im zweiten Schritt auf den Kontext von BalanceGuard angepasst. Beispielsweise wurden Fragen zu Variablen, von denen wir tägliche Schwankungen erwarteten, so umformuliert, dass sie täglich beantwortet werden können. Wurden keine passenden existierenden Fragen gefunden, haben wir eigene Fragen entwickelt und diese im Projektkontext erprobt.“ Auf die Frage von Eckart Hüttemann, ob der Nutzer den Fragebogen auch nach eigenen Vorstellungen variieren kann, erläutert Jella Heptner: „Ja. Der Fragebogen ist als eine Art Baukastensystem konzipiert. Es gibt einerseits einen Standard an Fragen für alle Nutzer und Nutzerinnen. Dieser besteht aus Kernvariablen, die für alle Nutzer und Nutzerinnen über Unternehmen hinweg gleich sind, und den Variablen, die ein Unternehmen in Abstimmung mit den betrieblichen Akteuren zusätzlich ausgewählt hat. Darüber hinaus können die Nutzer und Nutzerinnen weitere Variablen aus dem Baukasten auswählen.“

Neben der situationsentsprechenden Anpassung der Fragebögen ist die Auswertung für die Unternehmen ein weiteres wichtiges Element. Jella Heptner erläutert: „Unternehmen bekommen grundsätzlich keinen Einblick in die „Rohdaten“. Daten werden nur in aggregierter und anonymisierter Form genutzt. Um die Daten auf aggregierter Ebene für Unternehmen auswerten zu können, müssen die Nutzerinnen und Nutzer bei der Registrierung der Datenschutzerklärung zustimmen. Die Daten landen dann auf einem zertifizierten Server unseres Projektpartners CGM HSM. Das LIA.nrw kann diese Daten unter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen zum Zwecke der Organisationsentwicklung auswerten. Dafür werden die Daten beispielsweise auf Abteilungsebene zusammengefasst und anonymisiert, sodass kein Rückschluss auf die Person möglich ist. Auf diese Weise werden Veränderungsbedarfe von bestimmten Belastungssituationen identifiziert.“

Für die Entwicklung und den Einsatz von Maßnahmen der Unternehmen zur Reduktion von Stressfaktoren ist es wesentlich, ob diese einmalig oder regelmäßig auftreten. Hier erläutert Emanuel Beerheide: „Bei Einzelereignissen kann es zu Ausreißern kommen, aber in der Gesamtschau der Daten, die über einen gewissen Zeitraum regelmäßig eingegeben werden, lassen sich Effekte herausfiltern, die auf eine Regelmäßigkeit oder auf grundsätzliche Probleme hinweisen, wie zum Beispiel Probleme in der Zusammenarbeit oder mit der Führung. Somit lassen sich möglicherweise Risiken und Problemkonstellationen auf der individuellen Ebene aber auch auf der Arbeitsorganisationsebene feststellen.“

Neben der Erfassung einzelner Belastungsfaktoren ist auch die Kombination mehrerer Faktoren von großer Bedeutung. Zur Messung der Kombinationsbelastung führt Jella Heptner aus: „Bisher berücksichtigen wir Mehrfachbelastungen durch die gleichzeitige Erfassung von Belastungsfaktoren aus dem Arbeits- und dem Privatleben. Bei der Auswertung für die Nutzer und Nutzerinnen steht eine Betrachtung von Wechselwirkungen verschiedener Belastungsfaktoren noch aus. Dies stellt einen weiteren Schritt bei der Weiterentwicklung des Tools dar.“

Gerhard Finking fragt, ob aus der Erhebung und Messung der Belastungsfaktoren auch Gefährdungspotenziale ermittelt werden können. Jella Heptner erläutert, dass „den Nutzern und Nutzerinnen die sogenannten Top Stressfaktoren zurückgespiegelt werden. Das sind die Stressfaktoren, die bei den Nutzerinnen und Nutzern über den Erhebungszeitraum besonders stark ausgeprägt sind. Zudem werden bedeutsame Korrelationen der Stressfaktoren mit der Beanspruchung aufgezeigt. Es lässt sich auf diese Weise ein Gefährdungspotenzial der verschiedenen Stressfaktoren für den einzelnen Nutzer bzw. die einzelne Nutzerin erkennen.“ Am Beispiel der Arbeitszeit erläutert Emanuel Beerheide: „Es ist wichtig zu betonen, dass wir Daten generieren und wir diese Informationen vergleichen können. Aber wir könnten dem Individuum natürlich nicht zurückspiegeln, du arbeitest in Schichtarbeit und die Analyse hat gezeigt, dass damit bestimmte Risiken verbunden sind, arbeite ab jetzt lieber nicht mehr in Schicht. Wenn wir aber über einen längeren Zeitraum Vergleichsdaten verschiedener Unternehmen haben, die beispielsweise mit unterschiedlichen Modellen arbeiten, dann könnten wir auf dieser Basis Vorschläge für Personalentwicklungsmaßnahmen und Organisationsmaßnahmen ableiten.“

Gerhard Finking fragt, ob ein Beratungs- und Coachingsystem im Unternehmen geschaffen werden muss, um BalanceGuard in Unternehmen einsetzen zu können. Jella Heptner erläutert: „Grundsätzlich ist für den erfolgreichen Einsatz von BalanceGuard die Beteiligung aller relevanten betrieblichen Akteure essentiell. Zum einen muss es im Unternehmen selbst Ansprechpartner geben. Während der Erprobungsphase können sich die Beschäftigten der Praxispartner Manpower und Caritas Hannover außerdem an die externe Mitarbeiterberatung ‚Schnelle Hilfe‘ der Deutschen Angestellten-Akademie wenden. Zusätzlich zur individuellen Nutzung von BalanceGuard muss aber auch ein Commitment im Unternehmen bestehen, Schlüsse aus den Ergebnissen von BalanceGuard zu ziehen und Veränderungen anzustoßen.“ Emanuel Beerheide ergänzt: „Ein grundsätzliches Problem von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist, dass diese zum Teil losgekoppelt von anderen Prozessen im Unternehmen gesehen werden. Diese Gefahr besteht natürlich auch beim Einsatz von BalanceGuard, aber wir versuchen diese Problematik im Blick zu haben. Denn häufig gilt in der betrieblichen Praxis, dass die besten Überlegungen zu BGF-Maßnahmen verpuffen, wenn die Arbeits- und Kommunikationsprozesse nicht vernünftig organisiert sind.“

Neben der persönlichen Beratung unterstützen im Tool eingepflegte Hilfestellungen den Nutzer bzw. die Nutzerin darin, Einfluss auf eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeit und des Privatlebens zu nehmen, erläutert Jella Heptner. Er oder sie wird auf einen Katalog von Maßnahmen verwiesen, wenn besonders kritische Werte auftreten und Stressfaktoren im bedeutsamen Zusammenhang mit der Beanspruchung stehen. Die Handlungsempfehlungen wurden auf Grundlage von bisherigen Erkenntnissen und Vorarbeiten z. B. zur Arbeitsgestaltung und zur Erholung entwickelt. Emanuel Beerheide ergänzt: „Die Nutzerinnen und Nutzer werden auf besonders kritische Belastungen hingewiesen und erhalten dann entsprechende Hinweise. Das reicht von rechtlichen Informationen – im Sinne von Empowerment – bis hin zu Tipps und Vorschlägen zu individuellen Entspannungsübungen. Begleitet wird dies im Rahmen des Projektes durch niederschwellige (betriebs-)externe Unterstützungsangebote: Zusätzlich zur individuellen Auswertung innerhalb des Tools und den Tipps können die Beschäftigten im Rahmen des Projektes die ‚Schnelle Hilfe‘ der DAA nutzen. Die ‚Schnelle Hilfe‘ besteht aus ausgebildeten Coaches, die eine Form von Erstberatung und Auswertungsberatung leisten. Bei Bedarf vermitteln sie auch an Fachberatungsstellen weiter.“

BalanceGuard geht jetzt in die praktische Erprobung. Es wird sich hier zeigen, wie das Tool von den Beschäftigten angenommen wird und ob es von den Unternehmen unterstützt wird. Anhand dieser Erfahrungen wird das Konzept kontinuierlich verbessert und weiterentwickelt. HdA-online wird mit BalanceGuard über die Entwicklungen im Projekt und die Erfahrungen, die in den nächsten Monaten vorliegen, im Gespräch bleiben.

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