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Redaktion

05.01.2023

Die Entwicklung von Geschäftsprozessen bei Dienstleistungen und die Bedeutung von Interaktionsarbeit

Vorwort der Redaktion:

Interaktionsarbeit wird in allen Arbeitsbereichen, die Arbeit mit Menschen hauptsächlich oder auch nur teilweise beinhalten, immer wichtiger. Damit ergeben sich neue Gestaltungsanforderungen anDienstleistungen und Dienstleistungsarbeit. Angesichts der zum Teil sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen in denen Interakzionsarbeit geleistet wird, hat sich der HGAL Verein zunächst auf die Interaktionsarbeit in der häuslichen Pflege konzentriert. Dazu wurde Anfang 2022 eine online-Konferenz durchgeführt. Erkenntnisse aus diesem Kongress haben zu weiteren Vorarbeiten geführt, Interaktionsarbeit in der häuslichen Pflege noch detaillierter zu untersuchen. Schwerpunkte sind die Organisation und das Management der Bereitstellung von Pflege (Dienst) Leistungen als auch die Interaktion im Team.
Das Überblickspapier “ die Entwicklung von Geschäftsprozessen Dienstleistungen und die Bedeutung von Interaktion“ ist deshalb für die HGAHL-Redaktion von besonderer Bedeutung, weil es in großer Breite die Bedeutung des Themas und notwendige Forschungsarbeiten darstellt.

Vorwort der Autoren:

Interaktionsarbeit  ist – auch dank Eurer Unterstützung - inzwischen ein breit beforschtes Thema (www.interaktionsarbeit.de). Noch zu wenig allerdings wird unseres Erachtens berücksichtigt, dass sie auch mit Blick auf Technikgestaltung und neue Geschäftsmodelle von hoher Relevanz ist. Wir (Fritz Böhle, Wolfgang Dunkel, Norbert Huchler, Stephanie Porschen-Hueck, Margit Weihrich / ISF München und Uni Augsburg) haben dies in dem angehängten Two-Pager beschrieben. Dieses Papier haben wir auch an relevante Ansprechpartner beim Ministerium, KIT und PTKA weitergeleitet.
 
Es wäre schön, wenn die Perspektive der Interaktionsarbeit auch zukünftig Berücksichtigung fände. Wir würden uns freuen dazu weiterhin im Gespräch mit Euch zu bleiben.
Wolfgang Dunkel, Stephanie Porschen-Hueck, Fritz Böhle, Norbert Huchler, Margit Weihrich
 
 
Dr. Wolfgang Dunkel                    
ISF München
Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V.
Jakob-Klar-Str. 9                  
D-80796 München
Tel.: +49(0)89/272921-38    Fax: +49(0)89/272921-60
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http://www.isf-muenchen.de
 

Überblickspapier zum Themenfeld
Die Entwicklung von Geschäftsprozessen bei Dienstleistungen und die Bedeutung von Interaktionsarbeit

Mit der zunehmenden Relevanz digitaler Dienstleistungen bieten neuartige Geschäftsmodelle und damit verbundene Geschäftsprozesse („Servitization“) zentrale Ansatzpunkte für zukunftsweisende Forschung und Entwicklung. Dies bildet sich in dem BMBF-Programm „Zukunft der Wertschöpfung“ ab, in dem der Entwicklung von Geschäftsmodellen und damit der Neuorganisation von Leistungs- und Kundenbeziehungen ein zentraler Stellenwert eingeräumt wird. Im Folgenden wird argumen- tiert, dass neuartige Geschäftsmodelle und -prozesse Anforderungen an Interaktionsarbeit unterlie- gen, die in die Forschung und Entwicklung miteinbezogen werden müssen. Interaktionsarbeit ist auf dem Feld der Dienstleistungen nicht nur maßgeblich für die Gestaltung von Arbeit, sondern auch für die Organisation von Geschäftsprozessen.
1 Interaktionsarbeit als Kennzeichen von Dienstleistungen
Arbeit findet bei Dienstleistungen nicht nur vor oder bis zum Markt statt (back office), sondern vor allem auch an der Schnittstelle zu Kund:innen, Klient:innen und Patient:innen (front-line work). Die dort stattfindende Arbeit ist wesentlich eine Arbeit an und mit Menschen und damit Interaktionsar- beit. Sie ist bei allen Dienstleistungen an der Schnittstelle zu Kund:innen, Klient:innen und Patient:in- nen notwendig; einerseits als Kern der Tätigkeit wie bei personenbezogenen Dienstleistungen, ande- rerseits aber auch als Teil- Aufgabe bei sachbezogenen Dienstleistungen. Die Qualität von Dienstleis- tungen und ‚Kundenorientierung‘ hängt deshalb wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen Interaktionsarbeit geleistet werden kann. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Gestaltung von Dienstleistungsarbeit von der vorbereitenden Bereitstellung personenbezogener bzw. dem Entwick- lungs- und Herstellungsprozess sachbezogener Dienstleistungen bis hin zur Interaktionssituation selbst.

2. Anforderungen an die Arbeitsgestaltung
Interaktionsarbeit weist besondere Merkmale auf, aus denen sich auch besondere Anforderungen an die Arbeitsgestaltung ergeben. Hierzu wurden in den letzten Jahren umfangreiche, u.a. vom BMBF geförderte Forschungs- und Gestaltungsvorhaben durchgeführt, deren Ergebnisse bei der Gestaltung von Dienstleistungsarbeit zu berücksichtigen und weiterzuentwickeln sind. Jüngstes Beispiel hierfür ist der breit angelegte BMBF-Förderschwerpunkt zur Arbeit an und mit Menschen, in dem vielfältige Ansätze zur Arbeitsgestaltung entwickelt und erprobt worden sind (www.interaktionsarbeit.de). Mit der zunehmenden Rolle von Technik wie auch von neuen (z.B. datenbasierten) Dienstleistungen, die an (z.B. digitale) Prozesse und materielle Produkte angehängt sind, ergeben sich zusätzliche Gestal- tungsfragen.

3. Anforderungen an die Gestaltung von Geschäftsprozessen
Noch weitgehend unerschlossen sind die Potentiale, die in einer systematischen Berücksichtigung der Interaktionsarbeit bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen und der Organisation von Ge- schäftsprozessen liegen. Um diese Potentiale auszuschöpfen, sind insbesondere folgenden Aspekte zu berücksichtigen:
- Integration von Kund:innen , Klient:innen und Patient:innen in die Leistungserstellung
Dienstleistungen können nur gelingen, wenn Kund:innen, Klient:innen und Patient:innen ‚mitarbei- ten‘. Durch Interaktionsarbeit muss daher die notwendige Kooperation hergestellt werden, um Kund:innen , Klient:innen und Patient:innen in die Definition von Leistungen und ihrer Erbringung einzubeziehen. Teils wird die ‚Arbeit des Kunden‘ auch explizit als ein wesentliches Element von Ge-
schäftsprozessen vorausgesetzt. Geschäftsprozesse müssen dabei aber so gestaltet werden, dass die Empfänger von Dienstleistungen nicht nur mitwirken, sondern dass sie auch bereit und fähig sind, ihren notwendigen Beitrag zu erbringen. Selbst bei sachbezogenen, teil-standardisierten Dienstleis-
tungen ist eine solche ‚Beteiligung‘ mitzudenken; sei es in der Mensch-Produkt-Interaktion oder auch bereits bei deren Entwicklung.
• Grenzen der Planbarkeit und Standardisierbarkeit
Interaktionsarbeit ist nur begrenzt planbar. Kund:innen , Klient:innen und Patient:innen haben ei- gene Interessen und ihr Verhalten ist nur begrenzt kontrollierbar und prognostizierbar. Aushand- lungsprozesse sind konstitutiv für Interaktionsarbeit. Geschäftsprozesse müssen daher offen dafür sein, dass die konkrete Definition von Leistungen erst im Kontakt mit den Kund:innen , Klient:innen und Patient:innen erfolgt und situativ verändert wie auch weiterentwickelt wird. Ebenso hängt der Wert sachbezogener Dienstleistungen von den Anschlussmöglichkeiten für individuelle Aneignungs- prozesse ab. Interaktionsarbeit ist entsprechend auch nur begrenzt standardisierbar, denn erfolgrei- che Kundenorientierung erfordert eine Individualisierung von Leistungen bis hin zu deren emotiona- lem Erleben. Geschäftsprozesse müssen daher so ausgelegt sein, dass eine flexible und situative An- passung der Leistungserbringung ‚vor Ort‘ möglich ist. Dies beinhaltet die Interaktion mit Services, die an smarte Produkte angehängt sind.
• Dienstleistung als Haltung
Dienstleistungsarbeit lebt davon, mit welcher Haltung sie in Bezug auf die Kundenseite erbracht wird. Dabei wirkt Kundenorientierung nicht nur in den Markt bzw. die Nachfrageseite hinein, sondern stellt auch einen integrativen Faktor der Arbeits- und Berufsorientierung dar. Insofern ist Dienstleistung immer sowohl eine Arbeit an den Interessen und Emotionen Anderer wie auch an sich selbst. Dies greift nicht nur in der direkten Interaktion, sondern bereits auch bei der Vorbereitung personenbezo- gener oder Erstellung sachbezogener Dienstleistungen. Kundenorientierung kann deshalb auch in Strukturen, Prozesse und Objekte als Qualität eingeschrieben werden.

4. Anschlussfähigkeit an bestehende Konzepte und Initiativen zur Weiterentwicklung der Dienst- leistungsforschung
Konzepte wie Kundenintegration, open innovation oder value co-creation, die in den zurückliegenden 20 Jahren für die Dienstleistungsforschung entwickelt worden sind, bieten für die Interaktionsarbeit sehr gute Anknüpfungsmöglichkeiten. Des Weiteren kann die von dem Deutschen Forum Dienstleis-
tungsforschung zentral gestellte Kategorie der „interaktiven Wertschöpfung“ (Positionspapier DL2030 aus dem Jahr 2020) mit dem Ansatz der Interaktionsarbeit um zentrale Gesichtspunkte er- gänzt werden. In dem Positionspapier wird das Zusammenspiel von Kund*innen, Mitarbeiter*innen und KI als Gestaltungsfeld benannt: Dienstleistungen sollen so gestaltet werden, dass sie von Kund*innen möglichst einfach genutzt werden können. Das Konzept der Interaktionsarbeit bietet im Kontrast dazu die Möglichkeit, unhintergehbare Komplexitäten im Dienstleistungsgeschehen aufzu- decken und die Gestaltung von Geschäftsprozessen daran auszurichten.
5. Ausgewählte Literatur zur Interaktionsarbeit
Birken, Tom, Kratzer, Nick, Menz, Wolfgang (2012): Wem dienen Dienstleistungsunternehmen? Kun- denkonstellationen und ihre Konsequenzen für die Praxis interaktiver Arbeit. In: Dunkel, Wolfgang; Weihrich, Margit (Hrsg.): Interaktive Arbeit. Springer VS, Wiesbaden.
Böhle, Fritz; Stöger, Ursula; Weihrich, Margit (2015): Interaktionsarbeit gestalten. Vorschläge und Perspektiven für humane Dienstleistungsarbeit. edition sigma, Berlin.
Böhle, Fritz; Weihrich, Margit (2020): Das Konzept der Interaktionsarbeit. In: Zeitschrift für Arbeits- wissenschaft, Heft 74, S. 9-22.
Böhmann, Tilo et al. (2020): High-Tech meets High-Touch: Die Dienstleistungswende als Chance für die Wertschöpfung und Beschäftigung der Zukunft. Projekt DL 2030.
Böhmann, Tilo; Bienzeisler, Bernd; Dunkel, Wolfgang; Heike Jacobsen (2020): „Dienstleistung wird High-Tech“ – Auf dem Weg zu einem Plädoyer für eine humanzentrierte Dienstleistungswissenschaft. In: Ernst, Gerhard; Zühlke-Robinet, Klaus; Finking, Gerhard; Bach, Ursula (Hrsg.): Digitale Transforma- tion. Arbeit in Dienstleistungssystemen, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, S. 305-309.
Dunkel, Wolfgang; Weihrich, Margit (Hrsg.) (2012): Interaktive Arbeit. Theorie, Praxis und Gestaltung von Dienstleistungsbeziehungen. Wiesbaden: Springer VS.
Heidling, Eckhard; Böhle, Fritz; Thomas Habler (Hrsg.) (2010): Produktion mit Dienstleistung. Integra- tion als Zukunftschance. Hampp, München/Mering.
Huchler, Norbert; Weihrich, Margit; Porschen-Hueck, Stephanie; Monz, Anna; Schamann, Sonja; Böhle, Fritz; Heidling, Eckhard; Franke, Christian (2018): Dienstleistungen für Prävention im Alters- übergang – die Idee kooperativer Dienstleistungsnetzwerke. In: Schneider, Werner; Stadelbacher, Stephanie (Hrsg.): Der Altersübergang als Neuarrangement von Arbeit und Leben, Springer VS, Wies- baden, S. 115-150.
Porschen-Hueck, Stephanie; Zylowski, Thorsten (2021): Interaction-sensitive chatbot. Updating cus- tomer support in the platform-based ecosystem for business software. In: Bernd Bienzeisler, Katrin Peters, Alexander Schletz (Hrsg.): The disruptive Role of Data, AI and Ecosystems in Services - Pro- ceedings of the 31. RESER Conference, p. 195-211.
Satzger, Gerhard; Dunkel, Wolfgang (2011): Service Science – Potenziale für die Weiterentwicklung der Dienstleistungsgesellschaft. In: WSI-Mitteilungen, 9, Jg. 64, S. 470-476.
Schneider, A., Subramanian, D., Suquet, J.B. & Ughetto, P. (2021): Situating service work in action: A review and a pragmatist agenda for analysing interactive service work. International Journal of Man- agement Reviews. 1–26. https://doi.org/10.1111/ijmr.12259.

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