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Innovations- und Demografiemanagement in Gesundheits- und Sozialberufen (InnoGESO)

Innovations- und Demografiemanagement in Gesundheits- und Sozialberufen (InnoGESO)

 

Projektkoordinatorin:  Dr. Barbara Hinding (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Laufzeit: 01.01.2012 – 30.04.2015

 

1. Problemstellung

Der demografische Wandel birgt für die Arbeitswelt zahlreiche Veränderungen und Änderungsnotwendigkeiten. Das gilt besonders für soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen wie die Pflege und die soziale Arbeit, daangesichts einer älter werdenden Bevölkerung mehr Menschen betreut, beraten und gepflegt werdenmüssen, und das mit weniger finanziellen Ressourcen. Dadurch steigen bereits jetzt die Anforderungen an Beschäftigte und Organisationen vorausschauend, flexibel und veränderungsfähig zu sein. Doch auch die Beschäftigten werden älter. Für viele Betriebe stellt sich daher die Frage nach der Arbeitsfähigkeit älterer Mitarbeitender. Denn auf neue Situationen schnell und angemessen reagieren zu können, setzt leistungsfähige und gesunde, neugierige und proaktiv handelndeBeschäftigte voraus, die ihre Kompetenzen effektiv einsetzen und weiter voran bringen. Eine entscheidende Größe ist dabei die Innovationsfähigkeit der Menschen in den Organisationen. In Wirtschaft und Gesellschaft gelten vorwiegend die jüngeren Erwerbstätigen als Träger und Initiatoren innovativer Prozesse. Bei älteren Belegschaften besteht dagegen die Befürchtung, dass sie weniger Innovationen hervorbringen und auch weniger bereit sind, innerbetriebliche Veränderungen zu realisieren. Deshalb ist es das zentrale Anliegen des Projekts die Kompetenz und Bereitschaft zur Innovation in ihren Erscheinungsformen und in ihrer Veränderung im Lauf des Arbeitslebens besser zu verstehen, um sie zukünftig in jeder Lebensphase positiv beeinflussen zu können.

 

2. Lösungsweg

Das vom Bundesministerium für Bildung- und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfond (ESF) geförderte Projekt „Innovations- und Demografiemanagement in Gesundheits- und Sozialberufen“ wird im Verbund zwischen dem Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin (MIPH), Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, dem Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) an der Katholischen Hochschule Freiburg und dem Department für Pflegewissenschaften der Universität Witten/Herdecke durchgeführt. Ziel des Projekts ist die Entwicklung von Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung, die dazu beitragen, bisher nicht genutzte Innovationspotentiale besonders älterer Beschäftigter zu erschließen. Dies setzt Kenntnisse über die Kompetenzen und Ressourcen voraus, welche die Fähigkeit, Neues hervorzubringen, umzusetzen und in den Arbeitsprozess zu integrieren, bedingen.

Die Untersuchung der Einflussfaktoren der Innovationsfähigkeit erfolgt aus zwei Perspektiven. Zum einen wird die Veränderung individuellen Innovationsverhaltens im Lauf des Berufslebens mittels retrospektiver, biografischer Interviews und einer schriftlichen Befragung verfolgt, zum zweiten werden mittels Befragungen und Workshops in den beteiligten Einrichtungen „Momentaufnahmen“ der Innovationskompetenzen und ihrer Einflussfaktoren im Kontext der Organisation erstellt. Die Kombination der beiden Perspektiven ermöglicht eine wechselseitige Validierung der Ergebnisse. Jede Blickrichtung generiert jedoch auch eigene Befunde, so dass lebensphasenspezifische Umstände und organisationale Bedingungen gleichermaßen in den Blick geraten.

Der biografische Zugang ermöglicht ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von Alter und Innovationsfähigkeit. Verschiedene Ereignisse im Lebenslauf wie Arbeitsplatz- und Berufswechsel, geografische Mobilität, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Zeiten hoher Beanspruchung, Erkrankungen, wechselnde Arbeitsbedingungen und Organisationskulturen und nicht zuletzt Erfahrungen mit Innovationen am Arbeitsplatz können Einfluss nehmen auf die Art und Weise, wie wir Probleme angehen und Innovationsanforderungen begegnen. Geklärt werden soll, welche Faktoren Einfluss nehmen, welche relative Bedeutung sie haben und in welchen Kombinationen sie typischerweise auftreten. Fall- und Gruppenvergleiche ermöglichen die Identifikation von Regelmäßigkeiten und von besonders bedeutsamen Zielgruppen für Maßnahmen.

Der zweite Zugang nimmt die Organisationen mit den dort arbeitenden Menschen in den Blick. Wie die Abbildung 1 zeigt, werden hierfür Einflüsse aus verschiedenen Analyse-Ebenen berücksichtigt. Auf der Ebene der Person sind z. B. individuelle Kompetenzen, Einstellungen und Werte oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, aber auch die Erfahrung im Beruf und mit der Organisation, in der man tätig istsowie mobilitätsbedingte Erfahrungen (Positions- oder Berufswechsel), Unterbrechungen und Pausen(Arbeitslosigkeit, Elternzeit) sowie persönliche Ressourcen wie etwa Netzwerke von Bedeutung für Innovationskompetenz und -bereitschaft. Auf der Ebene der Situationgeht es um die Arbeitsaufgabe,die Anforderungen und die konkreten Alltagsbedingungen, die in den physisch-materiellen Umgebungsbedingungen und in der sozialen Umwelt, besonders der direkten Führung und den Beziehungen zu den Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck kommen. Auf der Ebene der Organisation stellt sich besonders die Frage nach den Merkmalen einer innovationsförderlichen Unternehmenskultur, z. B. nach der Bedeutung von Wertschätzung, Vertrauen, Fehlerlernenund der Innovativität selbst. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Wechselwirkungen zwischen den Ebenen. So kann einer hohen Änderungsbereitschaft auf der Personenebene ein durch Konkurrenz, mangelnde Wertschätzung und hohem Zeitdruck geprägtes Klima auf der Gruppenebene (Situation) entgegenstehen.

 

 

Abbildung 1: Einflussfaktoren des Innovationsverhaltens

Diese „Querschnittsperspektive“ auf die Organisationen und die Arbeitsplätze ermöglicht es, Parameter der Personen, der Situation und der Organisation gemeinsam zu erfassen und auf die Innovationstätigkeit der Beschäftigten und der Einrichtung zu beziehen. So können Treiber und Hemmnisse sowie typische Problemkonstellationen identifiziert werden, auf deren Grundlage Handlungsempfehlungen und Interventionsmaßnahmen zur Förderung der Innovationsfähigkeit abgeleitet werden. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit den kooperierenden Einrichtungen. Dabei handelt es sich um die Pflege in vier Krankenhäusern und um vier Einrichtungen der Sozialarbeit.

Im Vordergrund steht die Entwicklung von Innovationsressourcen auf den Ebenen der Person, der Situation und der Organisation. Jede Ebene bietet Ansatzpunkte zur Förderung von Innovationsfähigkeit und -bereitschaft, so dass für alle Ebenen Vorschläge und Maßnahmen entwickelt werden. Organisationsbezogene Maßnahmen etwa zur Überwindung überholter Altersbilder oder zur Förderung der Wertschätzung gegenüber älteren Beschäftigten unterstützen die Implementierung neuer Handlungsansätze und stoßen kulturelle Veränderungen an. Auf der Ebene der Situation stehen Arbeitsaufgabe, Belastungen sowie Team- und Führungsprozesse im Vordergrund. Durch personenbezogene Maßnahmen, vor allem biografisches Lernen und Coaching, werden älter werdende Beschäftigte darin unterstützt, ihre Kompetenzen eigenverantwortlich aufzubauen, ihre Berufsrollen zu reflektieren und eigene Entwicklungsstrategien zu entwickeln.Basierend auf der biografischen Perspektive wird das gesamte Arbeitsleben in den Blick genommen, so dass für relevante Kompetenzen und Ressourcen ein lebensphasenspezifisches Vorgehen verfolgt werden kann.

Die Organisationen werden hierdurch in die Lage versetzt, Innovationsfähigkeit zukünftig sowohl in die Personalentwicklung zu integrieren, als auch in der Organisationsentwicklung umzusetzen. Die im Rahmen des Projekts erstellten Strategien und Handlungsansätze werden damit nachhaltig zur Stärkung der Innovationsfähigkeit und –bereitschaft von Beschäftigten im Bereich sozialer Dienstleistungen beitragen.

 

3. Ergebnisse

Wie dringlich die bewusste Auseinandersetzung mit der Innovationfähigkeit (älter werdender) Beschäftigter ist, zeigen Interviews mit Experten (Führungskräfte aus der Praxis und Wissenschaftler) und Beschäftigen aus den Bereichen Pflege und Sozialarbeit. Bereits das Innovationsverständnis spiegelt eine v. a. bei den Experten eingeschränkte Sichtweise wider. Als Innovationen werden solche Veränderungen beschrieben, die eine technische oder organisatorische Ausrichtung haben. Soziale Innovationen, wie Maßnahmen zum Mitarbeitererhalt finden kaum Erwähnung. Verantwortlich für die Initiierung und Implementierung von Innovationen sehen Pflege-Experten Führungskräfte und Organisationsleitungen. Experten der Sozialarbeit ergänzen diese um gesellschaftliche Entwicklungen bzw. den Gesetzgeber, der auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert. Die Beschäftigten beider Bereiche werden von den Experten nur in Einzelfällen als aktive Beteiligte betrachtet, überwiegend gelten sie als die Empfänger von Innovationen. Die Beschäftigten hingegen sehen neben leitenden Personen auch sich selbst in aktiver Rolle im Innovationsprozess und belegen ihre Wahrnehmung anhand konkreter Beispiele, die sowohl technische, organisatorische wie auch soziale Innovationen umfassen.

Nicht zuletzt aufgrund der eigenen Erfahrungen mit angeordneten sowie mitgestalteten Innovationen benennen die Beschäftigten aus Pflege und Sozialarbeit zahlreiche Einflussfaktoren auf den Ebenen Person, Situation, Organisation sowie Gesellschaft, die sich förderlich oder hemmend auf ihre Innovationsfähigkeit auswirken. Hinsichtlich der Hemmnisse liefern sie in vielen Fällen Ideen, wie diesen begegnet werden könnte. Diese vorhandene Innovativität der Beschäftigten wird von den Experten allerdings kaum wahrgenommen, auch würde sie nicht recht ins Bild passen, da Beschäftigte bisher nicht als aktive Innovationsbeteiligte gelten. Dass hier langsam ein Umdenkprozess stattfindet, zeigt die Einstellung, dass die Teilhabe der Beschäftigten an Innovationsprozessen als wesentlicher Erfolgsfaktor für die Innovationsfähigkeit von Organisationen herausgestellt wird. Dabei liege die Förderung der Innovationsfähigkeit der Beschäftigten in der Verantwortung der Organisationen. Umsetzbare Strategien zur Realisierung der Teilhabe und zur Förderung der Innovationsfähigkeit fehlen allerdings bzw. bleiben abstrakt –„gute Kultur“, „Mitarbeiterorientierung“ etc. – mit der Begründung, dass die Organisationen gerade erst beginnen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Konkreter sind die Erwartungen, die diesbezüglich an die Beschäftigten gestellt werden: „Fähigkeit zur Reflexion“, „Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem“, „Bereitschaft zur Teilnahme an Fortbildungen“ etc.

Diese Erwartungen können aus Sicht der Experten gerade von älteren Beschäftigten nicht oder nicht so gut erfüllt werden. Experten beider Fachbereiche werten die Innovationsfähigkeit Älterer sowohl indirekt – z. B. erschwere eine lange Betriebszugehörigdie Blicke über den Tellerrand– aber auch direkt das Alter thematisierend ab. Im Pflegebereich wird diesbezüglich u. a. mit den im Alter zunehmenden gesundheitlichen Belastungen und einer negativen Sicht älterer Beschäftigter auf das Älterwerden argumentiert; die Experten der Sozialarbeit berufen sich auf eine – dem Berufsverständnis widersprechende - altersbedingt nachlassende Veränderungs- und Reflexionsbereitschaft. Unter den Beschäftigten selbst variiert die Einschätzung der Innovationsfähigkeit älterer Kollegen je nach Alter der Befragten. In der Pflege vertreten v. a. die Älteren eine kritische Sichtweise: ältere Kollegen seien „ausgelaugt“, „nicht mehr so flexibel im Kopf“ etc. In der Sozialarbeit hingegen fallen kritische Töne v. a. bei den Jüngeren an, die überwiegend darauf abzielen, dass ältere Kollegen sich generationsbedingt („Tabuthema“) nicht oder nicht ausreichend mit den psychischen Belastungen, die der Beruf mit sich bringt, auseinandersetzen und aufgrund dieser Belastungen nicht mehr innovationsfähig sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Förderung der Innovationsfähigkeit in Organisationen der Pflege und Sozialen Arbeit bisher nicht systematisch verfolgt wird. Hierzu bedarf es der weiteren Sensibilisierung der Organisationen für das Thema, u. a. einesklaren Verständnisses von Innovation/Innovationsfähigkeit, Dialogen sowohl zwischen Beschäftigten und Führungspersonal, als auch zwischen den Generationen, z. B. um negativen Altersbildern zu begegnen. Die Ergebnisse unterstreichen aber vor allem noch einmal den Bedarf, die Kompetenz und Bereitschaft zur Innovation der Beschäftigten einer Organisation besser verstehen und positiv beeinflussen zu können.

 

4. Veröffentlichungen zum Vorhaben

Hinding, B., Matthes, J., Biere, S. & Kastner, M. (2012). Gesundheit und Innovationsfähigkeit im demografischen Wandel. Ergebnisse von Experteninterviews zu Burnout-Ursachen und Entlastungsstrategien in Pflege und Sozialarbeit. Posterpräsentation und Vortrag auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie vom 20. – 22.09.2012 in Heidelberg.

Hinding, B., Matthes, J. Biere, S., Höcke, A., Kastner, M. (2012). Innovations- und Demografiemanagement inGesundheits- und Sozialberufen. Posterpräsentation bei der Fachtagung „Leistung, Gesundheit und Innovativität im demografischen Wandel“ am 06.12.2012 in Heidelberg.

Matthes, J., Hinding, B., Höcke, A. & Kastner, M. (2013). Entwicklung von Innovationskompetenz im Berufsleben – eine biografische Perspektive. Ergebnisse einer explorativen Teilstudie mit Experten und Mitarbeitenden aus den Bereichen Pflege und Soziale Arbeit. Vortrag beim Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft vom 27.02.-01.03.2013 in Krefeld.

Matthes, J., Hinding, B., Höcke, A. & Kastner, M. (2013). Entwicklung von Innovationskompetenz im Berufsleben – eine biografische Perspektive. Ergebnisse einer explorativen Teilstudie mit Experten und Mitarbeitenden aus den Bereichen Pflege und Soziale Arbeit. In Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (Hrsg.), Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung – Zukunftsfähigkeit für Produktions- und Dienstleistungsunternehmen (S. 141-144).

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