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Rettet die Digitalisierung die Weltwirtschaft?

Digitalisierung als Allheilmittel

Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben in ihrem Antrag (Bundestagsdrucksache 18/267)

“innovative Arbeitsforschung für ein Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung“ folgende Megatrends und Herausforderungen genannt, welche die Arbeitswelt in Zukunft prägen sollen: die Digitalisierung von Arbeitsprozessen, der demographische Wandel und veränderte Wertmuster in der Gesellschaft. Hier werden Kräfte ausgeklammert, die unter dem Sammelbegriff Globalisierung das Arbeitsleben in den vergangenen 20 Jahren weit stärker geprägt haben, als die anderen genannten Faktoren. Auch Klima – und Nachhaltigkeitspolitik wird vernachlässigt.

Der Digitalisierung werden wahre Wunderkräfte zugeschrieben: Sie soll den Standort Deutschland upgraden, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft, vor allem die der Industrie sichern, die Produktivität steigern und last not least die Humanisierung des Arbeitslebens fördern. Nun hat sich auch der G 20 Gipfel die Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben. Die Förderung der digitalen Wirtschaft ,insbesondere der Industrie, wird zu einem neuen Schwerpunkt der Zusammenarbeit. Auf dem nächsten G 20 Gipfel 2017 in Hamburg sollen hier im Rahmen einer Fachminister-Konferenz erste konkrete Vorschläge erarbeitet werden.

Digitalisierung und insbesondere“ Industrie 4.0“ sollen die internationale Vernetzung von Wertschöpfungsketten und Innovationsprozessen vorantreiben. Insofern ist die Initiative der G 20 als Versuch zu sehen, die Desintegrationstendenzen und – Kräfte in der Weltwirtschaft zu stoppen und umzukehren. Je enger die Weltwirtschaft vernetzt ist – so der Grundgedanke – desto weniger Erfolg werden Versuche zur nationalen Abschottung von Güter – und Arbeitsmärkten haben.

Die mit dem Ende des kalten Krieges entstandene Vision einer globalen und sozialen Weltgemeinschaft erlischt zurzeit mit jedem neu gezogenen physischen und administrativen Grenzzaun. Zugleich entsteht ein neuer Imperialismus, verbunden mit Chauvinismus und Nationalismus. In den Bevölkerungen der Industrieländer wächst der Widerstand gegen die von Finanzkapital und ultraliberaler Wirtschaftspolitik geprägte Entwicklung . Die wachsende Unsicherheit der Beschäftigung, Zunahme prekärer Arbeitsplätze, stagnierende Einkommen, steigende Arbeitsbelastung und schrumpfende Aufstiegsmöglichkeiten der Unter – und Mittelschicht führen inzwischen zu einem wachsenden Legitimationsverlust der Eliten. Bedrückende Armut von immer mehr Menschen , obszöner Reichtum Weniger und wachsender Realitätsverlust der Eliten verwandeln Politikverdrossenheit zu Ablehnung zu aktivem Widerstand. Waren die Agenda-Reformen wirklich alternativlos? Sind nicht soziale Strukturen, sichere Arbeitsverhältnisse auskömmliches Leben, gute Ausbildung und Zugang zu Gemeinschaftsgütern demontiert und abgebaut, Renten gekürzt und Löhne eingefroren worden?

Die Eliten in den Industrieländern mit immer ausgedehnterer Geldschöpfung und immer neuen Sparmaßnahmen bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen die Krise der Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen einzudämmen. Hier sind mit der wachsenden Verschuldung Wechsel auf die Zukunft gezogen, von denen heute keiner weiß wie sie eingelöst werden sollen. Durchaus vergleichbar mit den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wächst hier ein politischer Widerstand von rechts, der die Lösung aller Probleme in einer Wiederbelebung des Nationalstaates und einem Abbau an Demokratie sieht. Mit den Präsidentschaftswahlen in den USA und in Frankreich, Landtags – und Bundestagswahlen in Deutschland, dem Brexit in Großbritannien tritt eine Zäsur der Entwicklung ein, auch wenn der“ Worst Case“ nicht eintritt. Es gibt kein“ weiter so“, sonst werden die Staaten des Westens implodieren.

Globalisierung am Wendepunkt? Drei mögliche Szenarien

Diese Gefahren werden schon seit einiger Zeit auch von großen Finanzinstituten und Think Tanks artikuliert. Die Schweizer Großbank Credit Suisse hat hier 3 mögliche Zukunftsszenarien entwickelt [The End of Globalisation or a more Multipolar World (https://www.credit-suisse.com/de/en/about-us/research/research-institute/publications.html)]

Szenario 1

Der Fortgang der Globalisierung wird weiterhin maßgeblich von den USA bestimmt. Der Dollar bleibt die alleinige globale Reservewährung und verschaffte damit den USA die dominante Position in der Finanz – und Weltwirtschaft. Multinationale Unternehmen der Industrieländer, insbesondere der USA, behalten ihre Vormachtstellung und das internationale Recht bleibt westlich geprägt.. Die Schweizer Bank UBS weist zwar diesem Szenario auf mittlere Sicht eine hohe Plausibilität zu, stellt aber fest, dass die USA in Zukunft nicht mehr in der Lage sind, die Konjunktur und Wachstumslokomotive für den Rest ihres Imperiums darzustellen. Die dominante Rolle der USA gerät außerdem zunehmend unter Druck, vor allem durch China mit eigenen Ambitionen im Währungs – und Handelsbereich, sowie durch die politischen Krisen mit Russland, Nahost und Afrika Die „Satellitenstaaten“ – insbesondere Europa – sind deshalb darauf angewiesen, ihre Struktur – Beschäftigungs- und Wachstumsprobleme selbst zu lösen. Andererseits ist aber auch China mittelfristig nicht in der Lage, die Vormachtsstellung des $ als Reserve – und Leitwährung zu verändern oder gar abzulösen. Die Weltwirtschaft ist damit in einer Situation, die Charles P. Kindleberger [Die Weltwirtschaftskrise, 2.Auflg. 1979] so für Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre beschrieben hat: „es wird hier die Deutung vertreten, dass die Krise von 1929 so allgemein, so schwer, so anhaltend war, weil das internationale Wirtschaftssystem destabilisiert wurde durch die Unfähigkeit Englands und die abgeneigt der USA, die Verantwortung für seine Stabilisierung in drei besonderen Punkten zu übernehmen: Erhaltung eines relativ offenen Marktes für Krisenprodukte, antizyklische Bereitstellung langfristigen Kapitals und Diskontgewährung bei Krisen. … Das weltwirtschaftliche System war instabil, solange es nicht stabilisiert wurde, wie England dies im 19. Jahrhundert bis 1913 getan hatte, 1929 waren die Briten dazu nicht in der Lage und die Amerikaner nicht dazu bereit. Als jedes Land sich auf die Wahrnehmung seiner nationalen Privatinteressen beschränkte, ging das Gemeinwohl der Staatengemeinschaft in die Binsen und mit ihm die nationalen Belange aller“. Zwar haben 2008 China und die USA gemeinsam die Weltwirtschaftskrise gemeistert – Europa war zu einem substantiellen Beitrag gar nicht in der Lage oder nicht willens –, die für die Folgejahre jedoch erforderliche weitere Stabilisierung und Restrukturierung der weltwirtschaftlichen Ordnung scheiterte jedoch an dem Machtanspruch der USA, d.h. an der Ablehnung einer neuen Welt – und insbesondere Weltwährungsordnung.

Wenn also die USA mittelfristig zu schwach sind, mit ihrem eigenen Wachstum den Rest der Welt aus Krise und Deflation zu ziehen, wird die Entwicklung in den anderen Krisenregionen umso wichtiger. Eine des Desintegration Europas würde mit Sicherheit zu Kapitalverkehrskontrollen führen müssen und damit das Gebäude des internationalen Schuldenturms zum Einsturz bringen. Was Kindleberger schon als fehlgeleitete Politik (der “ ökonomischen Ignoranz“) in den dreißiger Jahren benannte – Unwilligkeit Schulden zu streichen, Abbau der Massenkaufkraft, Austeritätspolitik – steht auch heute einem wirklichen Aufschwung entgegen. Den Notenbanken gelingt es nicht, den weltweiten Finanzüberschuss in langfristige produktive Investitionen zu lenken, weil die Austeritätspolitik der Staaten dies verhindert. Letztlich hängt diese Politik des Durchwurstelns in Szenario 1 davon ab, dass Europa nicht desintegriert und der Euro erhalten bleibt. Diese wird jedoch angesichts der politischen, sozialen ökonomischen Verwerfungen durch 2 Jahrzehnte neoliberale Wirtschaftspolitik zunehmend schwieriger.

Szenario 2: Eine multipolare Welt

Ein solches Szenario wird eintreten, wenn die Restrukturierung der chinesischen Wirtschaft zu einer Industrie – und Dienstleistungswirtschaft gelingtund damitder Aufschwung Asiens weitergeht, Europa seine gegenwärtigen Probleme löst und die Schwellenländer sowie Russland ihre Struktur – und Finanzprobleme lösen können. Diese Entwicklung ist kein Selbstläufer, sie setzt letztendlich voraus, dass der Dollar als Reserve – und Leitwährung durch ein neues System einer eigenständigen Kunstwährung abgelöst wird. Erst mit dieser „Währungsreform“ wird es möglich sein, die erforderlichen Kapitalflüsse in langfristige Investitionen in Schwellen – und Industrieländern auszulösen. Dieser gleiche Zugang zu Kapital für alle würde zu einer wesentlich gleichmäßigere Entwicklung der Regionen in der Welt und auch zu einem Abbau der internen Ungleichgewichte im Handel in der Einkommensverteilung führen. Neben die großen internationalen Multis träten dann regionale Marktführer und eine breite Schicht mittelständischer und kleiner Firmen. Regionale Entwicklung in einem globalen Kontext eines geregelten Kapitalismus würde auch großräumige Wanderungsbewegungen erheblich eindämmen. Am Ende dieser Entwicklung stehen dann allerdings China und Indien als dominierende Wirtschaftsgroßmächte mit entsprechenden politischen Ansprüchen.

Die politischen und militärischen Aktivitäten der großen Mächte zeigen, dass dieser Übergang zu einer multipolaren Welt kaum reibungslos verlaufen wird. Sowohl China als auch die USA und Russland versuchen ihre imperialen Einflussgebiet auszudehnen, zumindest aber zu stabilisieren. Die Eigenständigkeit Europas als ein weiteres weltwirtschaftliches und – politisches Kraftfeld ist zunehmend gefährdet, auch aufgrund der wachsenden Implosionsgefahren. Eine hauptsächlich von Großunternehmen aus den USA und China gesteuerten Digitalisierung der Weltwirtschaft in Verbindung mit einer weiteren Liberalisierung der Arbeitsmärkte würde diese Implosionsgefahren weiter verstärken.

Szenario 3: Zusammenbruch

Wachsende Ungleichgewichte und politische sowie wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen haben schon einmal 1914 zur Explosion gesellschaftlichen und politischen Systems geführt. Auch jetzt, angesichts der immensen Überschuldung von Staaten und Privaten , genügt ein Funke und ein Dominoeffekt stürzt die fragile Weltwirtschaft in eine neue Krise. Die Notenbanken haben zwar 2008 den Sturz ins Bodenlose aufgefangen und die Aktienmärkte stabilisiert, gleichzeitig aber an der weiteren Steigerung der Verschuldung und damit der Risiken nichts geändert. Die Verschuldung wächst immer noch schneller als die Weltwirtschaft. Es gibt jetzt eine ganze Reihe von gravierenden Problemen auf einmal, die auch auf einmal gelöst werden müssen, wenn es nicht zu einer gegenseitigen Verstärkung dieser Probleme kommen soll. Wenn es nicht gelingt, Kapital für langfristige Investitionen vor allem in die Infrastruktur der Welt zu mobilisieren, bleibt das Wachstum niedrig und die Verschuldung zu hoch. Die derzeitigen Versuche, über Währungsabwertungen die Probleme zu exportieren zeigen bereits, dass die Spannungen steigen, Währungskrieg, Protektionismus, geopolitische Spannungen, Klimakatastrophen und die wachsende Zahl der Globalisierungsverlierer können die Mischung abgeben, die wie 1914 zur Explosion führt.

Auch in diesem Szenario endet die Globalisierung in Nationalisierung und multilateralen Handelsabkommen. Es wäre das Ende der europäischen Integration , bestenfalls die Rückkehr zu einer Wirtschaftsgemeinschaft. Die Konsequenzen für Beschäftigung und Arbeitsleben sind aus den historischen Erfahrungen gut abzuleiten.

Digitalisierung und Globalisierung

Die Digitalisierung wird die globale Weltwirtschaft nicht retten. Im Gegenteil: ohne eine Einbettung dieser technologischen Entwicklung in eine neue systemische Wirtschafts – und Gesellschaftspolitik wird genau das Gegenteil eintreten. In den nächsten Jahren werden Digitalisierung und Automatisierung in die anspruchsvollsten Arbeitsbereiche Einzug halten und nicht nur ungelernte Arbeit substituieren. Viele Tätigkeiten werden verschwinden, neue werden entstehen, die Bilanz ist ungewiss. Fest steht jedoch, dass viele Arbeitnehmer ihre Tätigkeit wechseln müssen, entweder indem sie sich weiter qualifizieren oder indem sie schlechter bezahlte und weniger anspruchsvolle Tätigkeiten übernehmen müssen. Es wird zu einem zunehmenden Wettbewerb um Arbeitsplätze kommen, ungeachtet einer schrumpfenden Arbeitsbevölkerung. Die vorliegenden Analysen zum Einfluss der Digitalisierung auf Tätigkeiten und Arbeitsplätze beschreiben eher die Bereiche, die gefährdet sind, als die neuen Tätigkeiten, die entstehen werden. Auf der Basis einer Betrachtung lediglich der Digitalisierung ist es aber auch schwierig, neue Tätigkeiten zu erkennen und zu beschreiben. (vgl: BMAS – studie Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Prognose 2016 http://www.economix.org/de/publikationen/d184.html

ILO : How Technology is changing Jobs and Enterprises (in ASEAN countries)

http://www.ilo.org/public/english/dialogue/actemp/whatwedo/aseanpubs/report2016_r1_techn.htm

Die Digitalisierung wird auch nicht die Produktivitäts– und Wachstumsprobleme der Weltwirtschaft lösen. Die gravierenden Umwälzungen unserer Wirtschafts – Sozial- und Arbeitswelt durch neue Technologien darunter Automation, Digitalisierung und Rationalisierung ,stehen in verblüffendem Gegensatz zur schrumpfenden Arbeitsproduktivität. In den USA zum Beispiel stieg die Arbeitsproduktivität Mitte des letzten Jahrhunderts noch mit einer Rate von etwa 3 % pro Jahr. Bis zum Ende des Jahrhunderts sank dieser Wert auf 2 % und nach der Finanzkrise 2008 auf Werte von einem Prozent niedriger. Die Erklärung für dieses Produktivitätsparadoxon liegt hauptsächlich darin, dass die digitalen Technologien und Verfahren sich hauptsächlich etablierte Wertschöpfungsketten aufbrechen und einzelne Stufen zwischen Erfindung und Verbrauch zu eliminieren. Durch die Weg-Rationalisierung ganzer Kettenelemente verschwindet Wertschöpfung, damit sinkt die Beschäftigung. Mit diesem anhaltenden Druck auf die Beschäftigung und damit die soziale und gesellschaftliche Position der abhängig Beschäftigten entstehen dann auch die Folgeprobleme wie Jugendarbeitslosigkeit, Rückgang der Gewerkschaftsmitgliedschaft und damit Verschlechterung der Verhandlungsposition, Ersatz von Vollarbeitsplätzen durch Teilzeitarbeit im Zuge des demographischen Wandels. Auch wenn durch den Einsatz von Computersystemen Arbeitsprozesse effektiver organisiert werden können, steigt die Arbeitsproduktivität im ökonomischen Sinne aber nur ,wenn die produzierten Waren zu Preisen verkauft werden können, die weniger stark sinken als die Arbeitsproduktivität zugenommen hat. Diese wird bei stagnierender oder sogar sinkender Massenkaufkraft immer weniger der Fall sein. Wenn die Roboter zu teuer produzieren – gemessen an den erzielbaren Warenpreisen – kommt dieser Prozess einer langjährigen Stagnationsphase der Löhne lebendiger Arbeit abrupt an ein Ende. (s. hierzu auch die Kolumne von Peter Brödner: Zur Kritik der 4. Industriellen Revolution)

Neue, vor allem menschengerechte Arbeitsplätze werden nicht durch die Digitalisierung geschaffen. Digitale Technologien und Techniken können lediglich als Instrumente in einem systemischen Prozess der Gestaltung und Restrukturierung von Arbeit eingesetzt werden.

Dies setzt zunächst einmal einen neuen systemischen Ansatz in der Wirtschaft – und Gesellschaftspolitik voraus, der alle wesentlichen Kräfte berücksichtigt die für die Gestaltung der Arbeitswelt maßgeblich sind.

Für die Gestaltung des Arbeitslebens sind die Lösung von Fragen der Arbeitsorganisation, der institutionellen Bedingungen von Arbeit und Wertschöpfung sowie Konzepte zur Entfaltung von Arbeitsvermögen in einem umfassenden Sinne wesentlich bedeutsamer als die Erschließung weiterer Felder einer digitalen Technologie und Ökonomie.

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