Sie sind hier:Startseite»Themen»Publikationen und Rezensionen»Arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung revisited!

Arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung revisited!

Die arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung ist wohl so alt wie die Arbeits- (und Industrie-)soziologie selbst (oder vielleicht noch älter). Offensichtlich ist es noch immer interessant zu untersuchen und zu deuten, wie die abhängig Beschäftigten „ticken“. Insbesondere vor dem Hintergrund der sozialen und technologischen Ausdifferenzierung der Arbeits- und Beschäftigungswelt und der veränderten (partei-)politischen Landschaft werden immer wieder neue wissenschaftliche Anläufe und Anstrengungen unternommen, um dem Geheimnis des Bewusstseins der Beschäftigten auf die Spur zu kommen.

Die nach meiner Kenntnis aktuellste Publikation dazu ist die AIS-Studie „Arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung revisited! Befunde und neue Herausforderungen einer Forschungstradition“, Jahrgang 15, Heft 1, Juni 2022. Die AIS-Studien sind das Online-Journal der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

Link zu den AIS-Studien:

https://www.arbsoz.de/ais-studien-2022

Ich habe die Aufsätze dieser Online-Publikation eher quer und kursiv gelesen, fand aber im Beitrag von Stephan Voswinkel eine angemessene Definition des Gegenstandes:

„Das Bewusstsein der Arbeitenden resultiert aus einer Auseinandersetzung
der Subjekte mit den Bedingungen ihrer sozialen Lage, mit ihren Identitätszuschreibungen und mit ihren Ressourcen, es verarbeitet also das Sein. Die Situation in der Arbeit ist eingebettet in den gesamten Lebenszusammenhang. Inwieweit hierin der Arbeit eine zentrale Rolle zukommt, ist eine empirische Frage und wird fassbar im Rahmen von Lebensorientierungen. Das Bewusstsein ist wesentlich normativ strukturiert, so dass Wertigkeits- und Anerkennungsmustern für das Bewusstsein eine zentrale Rolle zukommt. Der Bezug auf kulturelle Einbettungen und Anerkennungsverhältnisse existiert nicht neben den ökonomischen Verhältnissen und der Interessenorientierung, sondern beide sind miteinander verschränkt.“ (Seite 40)

Im von Sabine Pfeiffer, Natalie Grimm und Martin Kuhlmann verfassten Editorial wird zunächst der schon umfangreiche Forschungsstand und die verschiedenen Forschungslinien der arbeitssoziologischen Bewusstseinsforschung skizziert und rekapituliert. Dann heißt es dort:

„ (…) Seit einigen Jahren stellt sich die Frage nach dem gesellschaftlich-politischen Bewusstsein von Beschäftigten – angesichts gravierender politischer, arbeitsweltlicher, ökologischer und sozialer Veränderungen – mit neuer Brisanz. Schon 2012 hat die Sektion Arbeits- und Industriesoziologie deshalb das traditionsreiche Themenfeld des Faches unter den Stichworten „Wandel von Arbeit, Arbeitsbewusstsein und Subjektivität“ in ihrer Frühjahrstagung in Göt-
tingen aufgegriffen und die Beiträge der Tagung vor knapp zehn Jahren in den AIS-Studien (2012, Heft 2) veröffentlicht. Zu dieser Zeit entstanden zahlreiche Initiativen, die die Frage nach den gesellschaftlichen Orientierungen von Arbeitenden reaktivierten (vgl. außerdem WSI-Mitteilungen, Schwerpunkt 7/2016).
Wir erleben seither eine regelrechte Renaissance der arbeitssoziologischen Bewusstseinsforschung, die sich mit Gesellschaftsbildern, Wissens- und Denkformen sowie der sozialen Identität von Lohnabhängigen beschäftigt. Neue Analysedimensionen wie normative Ansprüche, Gerechtigkeit oder Kritik kommen dabei hinzu. Es finden in diesem Zusammenhang wieder rege Forschungsaktivitäten statt, die auf großes Interesse verschiedenster gesellschaftlicher Akteure treffen oder von ihnen angestoßen werden. Gewerkschaften interessieren sich für die Einstellungen, Mentalitäten und Handlungsabsichten ihrer Mitglieder und in der Interessenvertretung Aktiven. In verschiedenen politischen Debatten wird auf ein neues Klassenbewusstsein rekurriert, das es zu erforschen gelte. Wissenschaftliche und öffentliche Debatten
kreisen um Fragen gesellschaftlicher Spaltung und Gefährdungen des Zusammenhalts, hinter denen sich möglicherweise unterschiedliche Gesellschaftsbilder verbergen.

Die arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung von heute muss sich hierbei neuen Herausforderungen stellen. Es ist nötig, die in 2012 wieder begonnene Debatte um das Arbeitsbewusstsein aufzunehmen, fortzuführen und vor allem um aktuelle Befunde und neue konzeptionelle, methodische wie theoretische Überlegungen zu erweitern. Die Herbsttagung der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie, die in Kooperation mit dem SOFI Göttingen organisiert und veranstaltet wurde, sowie die (mehrheitlich) daraus entstandenen Beiträge dieser Ausgabe der AIS-Studien tragen der Fortführung und insbesondere der Erweiterung der arbeitssoziologischen Bewusstseinsforschung Rechnung, indem aktuelle Befunde und vor allem verschiedene neue Herausforderungen der Arbeitsbewusstseinsforschung beleuchtet werden (…)“

Gelesen 523 mal