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Wacht die Bundesregierung auf ?

Nachdem die bayrische Regierung nach ca. 100 Jahren wieder zum 10-Stunden-Arbeitstag zurückkehren will, die Arbeitgeberseite und die CDU die „dynamisierte, an die Lebenszeit geknüpfte“ Rente mit (vorerst) 70 fordert, will Olaf Scholz jetzt den „Frührentner-Trend“ durchbrechen[1]. Wachgerüttelt worden ist er wohl durch eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Wie Welt.de schreibt: „Die vom BiB ausgewerteten Mikrozensus-Daten belegen nach Angaben des Instituts, dass der zuvor recht stete Anstieg der Erwerbsbeteiligung bei älteren Beschäftigten in den vergangenen fünf Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen ist.“

Die Reaktion der Regierungsparteien unterstützte Scholz, allerdings in teilweise recht schwacher Form. Die Aussage der SPD „Gesundheitsprävention und Reha <müssten> eine viel stärkere Bedeutung in der Arbeitswelt bekommen“, wirkt angesichts des alten SPD-Forschungs- und Aktionsprogramms zur „Humanisierung des Arbeitslebens“[2] recht hilflos. Die FDP legt nur den Wert auf die letzte Arbeitsphase, spricht hier aber auch über die Senkung der Arbeitsbelastung. Die GRÜNEN mit Frank Bsirske – dem ehemaligen Vorsitzenden der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - betonen „dass die Arbeitsqualität und Arbeitskultur in Unternehmen, Betriebe und Verwaltungen verbessert werden, damit die Beschäftigten möglichst lange gesund, qualifiziert und motiviert ihrer Arbeit nachgehen können“.

Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung jetzt aufwacht und die Qualität der Arbeit in den Blick nimmt. Nachdem Lösungen zur Gestaltung der älteren Beschäftigten seit über 30 Jahren bekannt sind, der DGB-Index „Gute Arbeit“ seit Jahren zeigt, dass die Arbeitsintensität steigt und viele Beschäftigte sich nicht zutrauen bis 67 zu arbeiten, die Daten der Krankenkassen jedes Jahr einen Anstieg der psychischen Erkrankungen berichten, wird das langsam auch Zeit.

Dabei könnte die Bundesregierung sehr schnell reagieren. In ihrem Zukunftsbericht müsste der Schwerpunkt halt nicht auf Digitalisierung und technologieinduzierte Innovation liegen, sondern auf eine von den Anforderungen der Beschäftigten induzierte Innovation. Dazu muss in dem Zukunftsbericht die Gestaltung der Arbeit und Innovation für Gute Arbeit eine wesentliche Rolle spielen. Alleine mit ein bißchen Gerede um soziale Innovation ist es nicht getan. In der Forschung kann sofort auf die Herausforderungen reagiert werden, indem man z.B. die Forschungsrichtung der menschengerechten Gestaltung der Interaktionsarbeit nicht abbricht[3], sondern ausbaut. In der Bildungspolitik wäre es vielleicht sinnvoll Weiter- und Fortbildung nicht immer nur als Anpassungsqualifizierung zu sehen, sondern auch als Qualifizierung, Innovationsgeschehen zu gestalten. In der Arbeitspolitik könnte man die Rolle der BAuA weiter stärken. Insbesondere wird es hier darauf ankommen, die neu entstehenden Felder der Wirtschaft, wie die wissensintensiven und personenbezogenen Dienstleistungen verstärkt in den Blick zu nehmen.

Klaus Barthel, der ehemalige Vorsitzende der damaligen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, forderte schon 2013 „für ein so geartetes Forschungs- und Aktionsprogramm ist eine Verknüpfung mehrerer Politikfelder notwendig. Ein Regierungsprogramm sollte von den Ressorts Forschung und Bildung, Arbeit und Soziales sowie Wirtschaft und Technologie gemeinsam getragen werden und muss mit den Ländern abgestimmt werden. Es braucht ein klares Gesamtkonzept mit klarer Federführung, Koordinierung und Kontrolle. Es ist auf eine ausreichende zeitliche Perspektive anzulegen, mit ausreichenden Haushaltsmitteln auszustatten und von einer entsprechenden Agentur, die administrative, inhaltliche und kommunikative Aufgaben übernehmen kann, zu begleiten.“ (Heraushebung: G. Ernst)[4]

Also lieber Olaf Scholz, nicht nur aufwachen, nicht nur reden und hören, sondern Täter werden; denn sonst betrügt ihr Euch selbst.[5]

 

[1] S. https://www.welt.de/politik/deutschland/article242629475/Fruehrentner-Scholz-will-Trend-zum-frueheren-Renteneintritt-brechen.html

[2] https://hgalev.de/themen/humanisierung-der-arbeit-hda/item/75-von-der-humanisierung-des-arbeitslebens-zu-innovationen-fuer-die-arbeit-von-morgen.html

[3] https://hgalev.de/kolumnen/item/433-eigenstaendig-kontinuierlich-erfolgreich-nach-der-5-ver-di-tagung-zur-interaktionsarbeit.html

[4] Barthel, Klaus: Humanisierung der Arbeit braucht Forschung“, WISO direkt, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, Mai 2013

[5] Nach Jakobus 1,22